Amtsgericht Dachau:Elfjährige sagt gegen gewalttätigen Vater aus

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Viele Kinder, die zuhause Gewalt erleben, fühlen sich wertlos und ohnmächtig. (Symbolbild) (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, seine Tochter in den Bauch und auf den Rücken geschlagen zu haben. Er entkommt knapp einer Gefängnisstrafe, muss aber sein Alkoholproblem in Angriff nehmen.

Von Anna Schwarz, Dachau

Als die Elfjährige als Zeugin im Gerichtssaal des Dachauer Amtsgerichts aussagt, zieht sie die Ärmel ihres Pullis über beide Hände und klammert sich am schwarzen Stoff fest. Hinter ihr sitzt ihre Mutter im Publikum, auf der Anklagebank schräg gegenüber der 42-jährige Vater. Er ist wegen Körperverletzung angeklagt und soll seine elfjährige Tochter im Juli mit der flachen Hand zweimal in den Bauch und auf den Rücken geschlagen haben, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Noch am selben Abend ging das Mädchen mit der Mutter zur Polizei und erstattete Anzeige.

Der Angeklagte aus dem Landkreis trägt einen Kapuzenpullover und hat gerötete Wangen, immer wieder reibt sich der Vater von drei Kindern den Schweiß aus dem Gesicht. Er könne sich nicht daran erinnern, seine Tochter geschlagen zu haben, sagt er. An dem Nachmittag habe er viel getrunken, womöglich eine ganze Flasche Schnaps, als Gründe nennt der Straßenbauer "viel Arbeit, viel Stress, auch mit den Schwiegereltern". Später kam die Polizei, der Angeklagte wurde in der eigenen Wohnung festgenommen: "Ich bin erst wieder in der Zelle wach geworden." Er bekam ein Kontaktverbot zu seiner Familie und lebte nach eigener Aussage drei Tage lang auf der Straße. Später habe ihm seine Tochter erzählt, dass er sie verletzt habe: "Ich war selbst entsetzt von mir."

Seine Tochter wird von Richterin Cornelia Handl belehrt, dass sie nicht aussagen müsse, weil sie mit dem Angeklagten nah verwandt sei. "Es kann sich blöd anfühlen, wenn der eigene Vater verurteilt wird", so Handl.

Die Elfjährige will trotzdem erzählen, was im Juli vorgefallen ist. Ihre Augen wandern immer wieder zum Papa auf der Anklagebank, manchmal lacht er ihr zu. An dem Nachmittag, so erzählt die Schülerin, habe ihr Vater zunächst ein Spiel weggeworfen und ihr dann zweimal auf den Bauch und den Rücken "geklopft". Das habe ein bisschen wehgetan, aber nur kurz, sagt die Elfjährige.

"Wenn man sich das Register anschaut, zieht sich der Alkohol durch"

Er sei ein bisschen sauer gewesen und rote Augen habe er gehabt: "Die hat er immer, wenn er was trinkt", sagt sie mit leiser Stimme. Tags darauf habe ihr der Vater versprochen, dass so etwas nie wieder passieren und er nie wieder was trinken würde: "Daran hat er sich gehalten", sagt das Mädchen. Bei der Polizei habe die Elfjährige ausgesagt, dass ihr Vater zuletzt so aggressiv geworden war, als sie etwa acht Jahre alt war, liest Handl vor.

Der 42-jährige Vater hat neun Einträge im Strafregister, die meisten Taten hat er mit Alkohol im Blut begangen: Fahren ohne Führerschein, Fahrerflucht, Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung, Hausfriedensbruch; zuletzt wurde er 2020 wegen eines Angriffs auf Polizisten verurteilt, die Bewährungszeit laufe noch, so Handl. "Wenn man sich das Register anschaut, zieht sich der Alkohol durch."

"In meiner Kindheit war viel Gewalt dabei"

Deshalb, sagt der Angeklagte, habe er 2018 eine Psychotherapie gemacht und dabei herausgefunden, dass sein Suchtproblem auch mit seiner Biografie zusammenhänge: "Ich hatte keine hervorragende Kindheit, da war viel Gewalt dabei." Nach dem Vorfall im Juli habe er keinen Alkohol mehr getrunken und sich bei der kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Fürstenfeldbruck gemeldet, aber keinen Therapieplatz bekommen: "Die Wartelisten sind wohl ziemlich lang", sagt er.

Die Staatsanwaltschaft kritisiert, dass er sein Alkoholproblem bislang nicht in den Griff bekommen habe und sieht daher keine "günstige Sozialprognose", um die achtmonatige Freiheitsstrafe noch auf Bewährung auszusetzen. Der Angeklagte ruft dazwischen: "Wissen Sie eigentlich, wie schwierig es ist, in dieser Zeit eine sechsköpfige Familie zu ernähren?" Er habe einen Vollzeit- und einen Nebenjob, deshalb sei die Behandlung seiner Alkoholsucht bislang auf der Strecke geblieben.

Betroffene Kinder leiden oft unter Depressionen

Richterin Handl verurteilt den 42-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung, außerdem trägt er die Verfahrenskosten, muss zehn Alkohol-Beratungsgespräche bei der Caritas machen und 500 Euro an den Verein Brücke Dachau e.V. überweisen. Sie rügt, dass er seine Tochter - ein wehrloses Kind, das ihm vertraue - verletzt habe.

Obwohl er sich immer wieder als "Bewährungsversager" gezeigt habe, hält Handl dem Mann zugute, dass ihm die Tat leidtue und dass es seitdem zuhause wieder gut laufe. Zudem würde bei der Familie wohl viel finanziell zusammenbrechen, wenn er im Gefängnis säße. Sie verabschiedet sich von ihm mit: "Auf Nimmer-Wiedersehen hier." Das Gericht verlassen die Eltern und die Elfjährige gemeinsam.

Gewalt gegen Kinder

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen "Unicef" klärt über die Folgen für Kinder auf, die Gewalt erleben . Sie seien massivem Stress ausgesetzt und ihr Bedarf nach Sicherheit werde durch Gewalt massiv bedroht. "Dies kann ihre psychische und körperliche Entwicklung stark beeinträchtigen", viele betroffene Kinder fühlen sich wertlos und ohnmächtig, verlieren das Vertrauen in Erwachsene und sich selbst, entwickeln weniger Selbstvertrauen und leiden unter Angst oder Depressionen. Zudem könne Gewalt ihre Fähigkeit beeinträchtigen, zu lernen oder positive Beziehungen einzugehen.

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