Dachauer Altstadt:Der tägliche Wahnsinn

Verkehr in der Altstadt

Zentimeter für Zentimeter schiebt sich ein Bus an einem parkenden Lkw in der Augsburger Straße vorbei.

(Foto: N.P.JØRGENSEN)

Die Straßen der Altstadt sind vom Verkehr verstopft und von Lärm erfüllt. Jetzt erwägt Dachau, wie schon 2003 eine Einbahnstraßenregelung einzuführen und befragt dazu die Anwohner. Einige Geschäftsleute halten die Idee nach wie vor für "hirnrissig", andere stimmen aber zu.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Ludwig Stöckl sagt, er habe ein Déjà-vu. Ein für ihn unschönes. Der Juwelier mit Laden in der Augsburger Straße beobachtet mit großer Skepsis die Wiederkehr einer alten Idee. Eine Einbahnstraße im oberen Teil der Dachauer Altstadt. Rückblick: 2003 lief der Verkehr auf dem Altstadtberg nur in einer Richtung. Schon damals testete die Stadt die Einbahnstraßenregelung in der Altstadt. Doch Geschäftsleute und deren Kunden protestierten dagegen. Sie befürchteten, dass ihre Umsätze einbrechen, weil Kunden die Altstadt mit ihrem Auto meiden würden. Auch Stöckl gehörte zu den Kritikern, in seinem Geschäft lag eine Liste aus, auf der Menschen gegen die Regelung unterschreiben konnten. Stöckl und die anderen Einbahnstraßen-Gegner hatten Erfolg. Nach nur einem halben Jahr kippte der Stadtrat mit knapper Mehrheit den Probebetrieb. Jetzt will es die Stadt mal wieder versuchen. Das sei das "gleiche Spiel", sagt Stöckl. Er halte die Idee immer noch für "hirnrissig".

Stöckl hat wie alle anderen Gewerbetreibende und Anwohner der Altstadt zuletzt einen Posteinwurf von der Stadt erhalten. Die Stadt befragte sie, ob sie eine Einbahnstraßenregelung in der Altstadt befürworten würden. Zudem konnten die Teilnehmer der Umfrage eine von drei Varianten ankreuzen. Die kurze Variante läuft im Uhrzeigersinn vom Widerstandsplatz bis zur Klosterstraße. Die mittlere Lösung startet auf Höhe der Wieninger Straße. Die lange Einbahnstraße würde auf Höhe der Jocherstraße beginnen. Wichtig ist laut Stadtverwaltung, dass bei allen Varianten die Altstadtgarage und die Zufahrt zum Schloss sowohl von der Augsburger- als auch von der Konrad-Adenauer-Straße möglich sein sollte. Öffentliche Busse dürften weiter in beide Richtungen unterwegs sein. Zudem konnten die Teilnehmer der Befragung ihre Meinung zu einer Fußgängerzone zwischen Widerstandsplatz und Klosterstraße äußern.

818 Haushalte befragt

Hintergrund der Einbahnstraßenidee ist, dass die Stadt die Aufenthaltsqualität in der Altstadt verbessern möchte. Die Verkehrsbelastung insbesondere durch Durgangs- und Pendelverkehr in der Altstadt habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, heißt es im Text der Bürgerbefragung. "Die Folgen sind eine zunehmende Lärmbelästigung für die Anwohner, eine Gefährdung von Kindern auf dem Schulweg und starke Behinderungen beim Begegnungsverkehr großer Fahrzeuge, auch der Stadtbusse." Über die Idee, mit einer Einbahnstraße den Verkehr zu entzerren und sicherer zu machen, diskutierten die Stadträte in der Sitzung des Verkehrsausschusses im vergangenen September. Die Dachauer Polizei rät zu einer Einbahnstraßenregelung in der Altstadt.

Nach Angaben der Stadt Dachau erhielten 818 Haushalte in der Altstadt die Aufforderung, bei der Umfrage mitzumachen. Rund ein Drittel der Befragten schickten ihre Antworten zurück. "Eine erfreuliche hohe Beteiligung", wie Stadtbauamtsleiter Moritz Reinhold sagt. Ein externer Dienstleister werte die Umfrage nun aus. Das Ergebnis wolle man den Stadträten in der Sitzung des Umwelt- und Verkehrsausschusses Mitte April präsentieren. Dass man im Rathaus mit der Herausgabe einer Tendenz zurückhaltend ist, liegt auch daran, dass das Thema emotional aufgeladen ist. Egal, wie das Ergebnis ausfällt, klar ist: Die Stadträte stehen vor einer schwierigen Entscheidung, mit der sie es nicht allen recht machen können.

Christian Hartmann kennt alle drei Seiten. Er sitzt für die CSU im Stadtrat, ist Anwohner und Gewerbetreibender. Er hat eine Bäckerei in der Konrad-Adenauer-Straße am Fuße des Altstadtberges. Erst durch seinen Einspruch beschloss der Verkehrsausschuss im September, zuerst die Anwohner und Geschäftsleute zu befragen, bevor eine Entscheidung fällt. "Für mich kommt die Einbahnstraße nicht in Frage", sagt er. Er habe mit einigen Anwohnern und Gewerbetreibenden gesprochen. Die meisten würden so denken wie er. Er sieht unter anderem das Problem, dass der Verkehr dann die Seitenstraßen verstopfen würde. Zudem würden die Stadtbusse einen Großteil des Lärms verursachen. Dass ausgerechnet diese weiter in beide Richtungen verkehren dürften, sei doch "ein Schmarrn". Hartmann kritisiert auch den Rahmen der aktuellen Bürgerbefragung. Schließlich hätte jeder Haushalt nur eine Stimme gehabt, auch wenn zum Beispiel wie in seinem Haushalt fünf Menschen wohnen würden. Hartmann findet das "undemokratisch".

"Das ist die letzte Chance für die Altstadt"

Bei den Geschäftsleuten gehen die Meinungen auseinander. Viele befürchten, dass weniger Kunden kommen, weil die ohnehin raren Parkplätze weniger würden. Alma Hodzic vom Herrenausstatter Rauffer spricht von einer "Katastrophe". Ihr Bekleidungsgeschäft befindet sich in der Augsburger Straße an der Kreuzung zur Klosterstraße, genau dort, wo die Einfahrt dann verboten wäre. Unwissende Autofahrer würden dann direkt vor ihrer Ladentür wenden, meint sie. Sie und andere Einzelhändler hätten schon mit der Corona-Pandemie zu kämpfen. Eine Einbahnstraßenregelung wäre da "die blödeste Entscheidung, die man treffen kann". Ähnlich argumentiert Juwelier Stöckl. In Fragebogen der Stadt hat er geschrieben: "Legt man die Hürden für den Kunden in Form einer verkomplizierten Zugänglichkeit höher, so werden weniger Kunden kommen. Unter einem gewissem Maß an Kunden kann ein Geschäft nicht überleben."

Doch nicht alle Gewerbetreibenden denken so wie Stöckl und Hodzic. Marcus Rössler zum Beispiel vom gleichnamigen und traditionsreichen Schuhgeschäft in der Konrad-Adenauer-Straße kann deren Argumente überhaupt nicht nachvollziehen. Es sei doch egal, ob der Kunde die Geschäfte von zwei oder nur von einer Richtung anfahren könne, sagt er. Rössler ist auch Anwohner. Er sieht einen "dringenden Handlungsbedarf", um die Altstadt lebendig zu halten. Die Situation werde von Jahr zu Jahr schlimmer. Er fordert ein "Gesamtpaket" an Maßnahmen. Einerseits brauche es eine Einbahnstraßenregelung für den komplette Altstadtberg, also über die ganze Länge der Konrad-Adenauer- und Augsburger Straße. Zudem müsse man die Straße verengen, sagt Rössler. Somit bestünde Platz, um aus drei Längsparkplätzen fünf bis sechs Schrägparkplätze zu machen. Damit wäre nicht nur das Parkplatzproblem gelöst, man würde damit auch den Verkehr beruhigen und den Lärm mindern. Rössler, der den "täglichen Wahnsinn" in Dachau seit vielen Jahr beobachtet, sagt, die Stadt müsse das Thema entweder "gescheit oder gar nicht" angehen. Er ist überzeugt: "Das ist die letzte Chance für die Altstadt."

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