SZ-Adventskalender:Wenn die Tochter die Mutter in den Ruin treibt

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Seit 13 Jahren muss Luise Steiner Beiträge in Höhe von rund 6000 Euro für ehemalige Speditionsmitarbeiter abbezahlen. (Symbolbild) (Foto: imago stock&people via www.imago-images.de/imago images/Future Image)

Seit 20 Jahren stottert Luise Steiner aus Dachau Schulden ab. Die sind ihr durch die Spedition ihrer Tochter entstanden. Jetzt muss die Rentnerin auch noch eine Nebenkosten- und Strompreiserhöhung schultern. Wie die Inflation ihre Altersarmut verschärft.

Von Anna Schwarz, Dachau

Katzen und Kaffee seien ihr einziger Luxus, erzählt die 68-jährige Luise Steiner ( Name von der Redaktion geändert) aus Dachau. Sie trägt einen grauen Rollkragenpullover, einen weißen Schal darüber, ihr weißes Haar hat sie nach oben gesteckt. Auf dem Tisch steht ein Schälchen mit drei Schokobonbons, die sie von Bekannten geschenkt bekommen hat. Steiner hat nur Geld für das Nötigste: "Backen darf ich nicht, die Eier sind so teuer geworden", erzählt sie, Fleisch gibt es nur einmal im Monat, zum Frauenarzt geht sie aus Kostengründen nicht mehr, weil die Vorsorgeuntersuchungen um die 100 Euro kosten. Vor kurzem hat sie auch noch eine Nebenkostenerhöhung von ihrer Vermieterin bekommen, wegen der steigenden Energie- und Lebensmittelpreise macht sich Steiner große Sorgen. Geld für schlechte Zeiten zur Seite legen, das kann sie nicht. Sie hält sich ihre Hand vor die Augen: "Das wird nie mehr gehen, weil einfach zu wenig Geld da ist."

Ihre Geschichte, wie sie in die Armut rutschte, ist tragisch: Vor rund 20 Jahren hatte sie auf einmal einen Schuldenberg von rund 300 000 Euro zu schultern, weil sie eine Unterschrift machte, die enorme Folgen für ihr Leben hatte: "Das würde ich nie mehr machen, aber so dumm ist eine Mutter", erzählt sie trocken. Damals hatte ihre Tochter eine kleine Spedition, die pleiteging. Ihre Tochter habe Steiner damals überredet, die Geschäftsführung der Firma zu übernehmen: "Nur pro forma, sonst müssen wir Mitarbeiter ausstellen", habe die Tochter ihr damals versprochen. Doch als die Firma pleite war, gingen auch die offenen Forderungen auf Luise Steiner über: Darunter waren Steuernachzahlungen, Handyrechnungen, Rechnungen für neue Lastwagen sowie nachzuzahlende Versicherungsbeiträge für Arbeitnehmer. Die Rentnerin erzählt traurig: "Ich bin enttäuscht von meiner Tochter, dass sie alles auf mich angemeldet hat." Der Kontakt zwischen den beiden ist komplett abgerissen.

Seit 13 Jahren stottert die Rentnerin Versicherungsbeiträge ab

Steiner war mit dem hohen Schuldenberg überfordert, sie arbeitete damals als Putzfrau. Von einem Kollegen bekam sie den Tipp, zur Caritas-Schuldnerberatung zu gehen. Das tat sie und bekam Hilfe von Irene Küsters, die neben ihr am Esstisch sitzt. 2003 meldete Steiner Privatinsolvenz an und stotterte ihre Schulden ab. Am Ende des Insolvenzverfahrens erteilte ein Gericht die Restschuldbefreiung - das heißt Steiner wurde ein Großteil ihrer Schulden erlassen. Doch die Restschuldbefreiung gilt zum Beispiel nicht für Schulden, die durch Versicherungsbeiträge für Arbeitnehmer entstanden sind: Deshalb zahlt Steiner seit 13 Jahren die Beiträge in Höhe von rund 6000 Euro für ehemalige Speditionsmitarbeiter ab. Viel Geld zum Leben bleibt ihr nicht.

Zwar habe die Dachauerin durch ihren verstorbenen Mann eine monatliche Rente von rund 1600 Euro, "was an sich gut ist", so Küsters. Doch auch von ihrem Mann hat sie Schulden in Höhe von 31 000 Euro geerbt, er hat einen Kaufvertrag für einen Imbisswagen der Spedition unterschrieben: "Der Imbisswagen ist aber nie wieder aufgetaucht", erzählt Steiner. "Die Tochter und ihr Mann waren mit ihrer Firma wohl ziemlich kriminell unterwegs", sagt Schuldnerberaterin Küsters. Sie begleitet Steiner seit Beginn der Privatinsolvenz und erzählt: "Im Prinzip zahlt sie schon seit 20 Jahren die Schulden der Firma ab." Selbst im Alter muss sie weiterhin jeden Cent dreimal umdrehen. Wenn sie die Miete von inzwischen 700 Euro, Strom, Telefon und die Schuldentilgungen von ihrer Rente abzieht, bleiben ihr noch 450 Euro für sich und ihre vier Katzen. "Sie sind meine Familie", erzählt Steiner. Auf dem Boden hat sie ein paar Aluschälchen mit Tierfutter aufgestellt, neben dem Sofa steht ein Kratzbaum, die Katzen sind ihr Luxus.

Restaurantbesuche fallen aus, im Urlaub war sie das letzte Mal vor 25 Jahren

Am Nötigsten sparen muss sie schon seit Jahren: "Ich habe kein Auto fahre alles mit dem Rad, für mich gibt es kein Restaurant, keine Kneipe", vor dem Einkaufen durchforscht sie Sonderangebote, in den Urlaub ist sie das letzte Mal vor 25 Jahren an den Bodensee gefahren. Doch die Inflation und die Energiekrise machen ihr das Leben gerade noch schwerer. Vor kurzem hat sie nicht nur eine Strompreiserhöhung der Stadtwerke Dachau, sondern auch eine Nebenkostenerhöhung bei der Miete um 50 Euro bekommen - für Steiner ist das viel Geld. Seit Monaten steigen die Preise für Energie und Lebensmittel enorm an: Laut Bayerischem Landesamt für Statistik sind die Nahrungsmittelpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat im November 2022 um 20,6 Prozent angestiegen. Besonders erhöht haben sich die Preise für Molkereiprodukte und Eier (um 35,2 Prozent), Fleisch und Fleischwaren (20,3 Prozent), Brot und Getreideerzeugnisse (20,7 Prozent) sowie Gemüse (19,2 Prozent). Das bemerkt auch Luise Steiner im Supermarkt: "Früher hat ein Ring Lyoner 1,99 Euro gekostet, jetzt sind es drei Euro." Butter ist ebenfalls ein Luxusgut, die nimmt die Rentnerin nur mit, wenn sie im Angebot ist. Sie holt ein Stück Butter aus dem Kühlschrank: "Die hat nur 2,29 gekostet", müsse aber auch ein paar Wochen halten, so Steiner. Um beim Essen zu sparen, kocht die Rentnerin gerne Eintopf mit Kartoffeln und Spinat, Fleisch gibt es nur selten dazu.

Schuldnerberaterin der Caritas Dachau Irene Küsters. (Foto: Toni Heigl)

Finanzielle Ängste haben derzeit einige ihrer Klienten und seien "wesentlich belasteter", erzählt Schuldnerberaterin Küsters. Wegen der hohen Inflation "gibt es wohl viele in unsere Gesellschaft, die nicht mehr mithalten können", sagt Irene Küsters. Deshalb versuchen sie noch mehr zu sparen, verzichten etwa auf Restaurantbesuche und Urlaubsreisen: "Bei den Kindern versuchen die meisten als letztes zu sparen." Sorgen bereitet ihnen vor allem die große Unsicherheit: Weil sie nicht wissen, wie hoch ihre Nebenkostenabrechnung sein wird und die Energiekosten noch ansteigen werden.

"Viele haben Angst davor, ihre Wohnung zu verlieren."

Küsters sagt: "Viele haben Angst davor, ihre Wohnung zu verlieren." In diesen Fällen empfiehlt sie Wohngeld, also einen Mietzuschuss, zu beantragen. Was die Energiepreise anbelangt, erhöhten sich die Preise für Heizöl, laut Landesamt für Statistik, im vergangenen November gegenüber dem Vorjahresmonat um 48 Prozent, Gas wurde sogar um 144,9 Prozent teurer. Zwar hat die Bundesregierung Entlastungspakete für Bürgerinnen und Bürger beschlossen, doch ob diese reichen, vermag Küsters nicht einzuschätzen: Unter anderem bekommen Rentner bis Mitte Dezember eine Energiepreispauschale von 300 Euro. Doch bei vielen ärmeren Bürgern werde dieses Geld wahrscheinlich in die erhöhten Lebensmittelpreise fließen, meint Küsters, "und nicht mehr für die Nachforderung der Nebenkosten im nächsten Jahr reichen".

Luise Steiner hat schon jetzt Angst, dass in den kommenden Monaten eine "fette Nebenkostenabrechnung" ins Haus flattert, denn Rücklagen hat sie nicht - ein wenig Unterstützung würde ihr ohnehin sparsames Leben leichter machen. Gerne würde sie noch als Putzfrau arbeiten, aber vier Bandscheibenvorfälle und Herzprobleme machen es ihr unmöglich.

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