Unangemeldete Demos:Proteste weiten sich aus

Lesezeit: 3 min

Auf dem Schrannenplatz kommen am Montagabend etwa 70 Gegendemonstranten zusammen. Mit Schals bilden sie eine Menschenkette. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mehrere hundert "Spaziergänger" gehen am Montagabend im ganzen Landkreis auf die Straße. In Dachau treffen sie auf Gegendemonstranten. Der Verfassungsschutz warnt vor einer Radikalisierung der Bewegung

Von Anna Schwarz, Dachau

Wie ein Absperrband hielten die Demonstranten ihre Schals in den Händen. Am Montagabend riegelten sie damit den Dachauer Schrannenplatz ab. Etwa 70 Demonstranten waren zusammengekommen, sie trugen Maske und setzten in der Altstadt ein Zeichen - gegen Impfpflichtgegner, Pandemieleugner und Verschwörungsgläubige. Denn diese hatten über den Messenger-Dienst Telegram erneut eine Versammlung, ebenfalls auf dem Schrannenplatz, angekündigt. Daraufhin organisierte der Dachauer Andreas "Anderl" Laubert eine Gegendemo. Auf den Treppen zu Sankt Jakob erklärte der Versammlungsführer und ehemalige Frontmann der Band Blechblos'n: "Hier geht es nicht mehr ums Impfen oder Nichtimpfen", sondern die Bewegung der "Montagsspaziergänger" habe rechtsradikale Wurzeln, unter anderem bei der Kleinstpartei "Freie Sachsen". Zuvor hatte die SZ Dachau die Telegram-Chats der sogenannten "Spaziergänger" ausgewertet und darin auch geteilte Beiträge der Freien Sachsen gefunden. Außerdem verweisen einige Posts der "Spaziergänger" eindeutig auf Reichsbürger und Rechtsextreme: Die am häufigsten verwendeten radikalen Wörter in den analysierten Chats waren "System", "Wahnsinn", "Volk" und "Widerstand". Laubert betonte: "Das können wir vor allem hier in Dachau nicht dulden. Diese Menschen treten unsere Vergangenheit mit Füßen!"

Zeitgleich versammelte sich vor dem Dachauer Rathaus eine Gruppe aus Impfpflichtgegnern, Pandemieleugnern und Verschwörungsgläubigen, sie trugen Laternen und Grabkerzen, doch keiner von ihnen eine Maske. Sie ignorierten damit eine Allgemeinverfügung, die das Tragen von Masken bei Versammlungen vorschreibt. Diese hatte Landrat Stefan Löwl erst Anfang Dezember erlassen. Um die Masse herum standen Polizeiautos und Beamte in schwarzer Sicherheitsmontur, für den Einsatz wurde dieses Mal sogar Unterstützung von den Fürstenfeldbrucker Kollegen angefordert. Wie bereits die vorherigen "Spaziergänge" wurde auch jene am Montagabend nicht offiziell angemeldet, sondern lediglich über Telegram angekündigt, zum Beispiel in der Gruppe "München-steht-auf NEWS".

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Am Folgetag teilt die Dachauer Polizei mit: "Trotz einer Ansprache durch den Inspektionsleiter Thomas Rauscher machte sich beim Aufzug in Dachau, mit etwa 260 Teilnehmern, kein Versammlungsleiter bemerkbar." Zeitgleich fanden laut Polizei drei weitere nicht angekündigte Umzüge in Karlsfeld mit rund 50 Teilnehmern, Markt Indersdorf mit rund 40 Teilnehmern und Altomünster mit rund 30 Teilnehmern statt. Dazu schreibt die Polizei: "Alle Versammlungen verliefen störungsfrei, und die Mindestabstände wurden aus polizeilicher Sicht eingehalten." Vor der unangemeldeten Versammlung in Karlsfeld waren Flyer in Briefkästen verteilt worden, die für die Teilnahme warben: "Frieden - Freiheit - Demokratie: Karlsfeld geht spazieren!, jeden Montag 18 Uhr Rathaus". Zu lesen war auch die Behauptung: "Es geht der Politik schon lange nicht mehr um Deine Gesundheit."

Auf Anfrage warnt das Landesamt für Verfassungsschutz davor, Bewegungen wie jene in Dachau zu verharmlosen: "In Bayern finden Corona-Protestveranstaltungen statt, bei denen zum Teil auch verfassungsschutzrelevante Personen teilnehmen. Insbesondere rechtsextremistische Akteure sind in den letzten Wochen vermehrt auf das Protestgeschehen aufgesprungen", auch wenn sie nicht offen rechtsextrem auftreten würden. "Die Partei III. Weg erwies sich zuletzt bei bayerischen Anti-Corona-Veranstaltungen als zunehmend aktiv. So nahmen einzelne Parteimitglieder an Veranstaltungen in Bamberg, Ebern und Schweinfurt teil." "Der III. Weg" ist eine rechtsextreme deutsche Kleinstpartei.

In Dachau sind rund 260 "Spaziergänger" unterwegs, in den Gemeinden Altomünster, Karlsfeld und Markt Indersdorf finden weitere Proteste statt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Besonders den Messengerdienst Telegram habe das Landesamt im Blick: "Dort werden unter Bezugnahme auf die Corona-Pandemie weiterhin teils verfassungsfeindliche Inhalte verbreitet und es wird teils zu Gewalttaten, auch gegen Amts- und Mandatsträger, aufgerufen." In den dort entstehenden Filterblasen bestehe die Gefahr einer fortschreitenden Radikalisierung - auch im Landkreis Dachau.

Am Montagabend zeigte sich in der Altstadt, dass es Teilen der "Spaziergänger" nicht nur um die Angst vor einer möglichen Impfpflicht geht. Vor dem Rathaus schallte unter anderem ein Lied mit Songzeilen wie "Wir sind das Volk" aus den Boxen. Damit zeigte ein Teil aus Impfpflichtgegnern, Pandemieleugnern und Verschwörungsgläubigen ihre Nähe zur Pegida-Bewegung, die vor einigen Jahren - ebenfalls jeden Montag - gegen die vermeintliche "Islamisierung des Abendlandes" protestiert hatte. Diese beschlagnahmte damals ebenfalls die Parole "Wir sind das Volk!" aus dem Wende-Herbst 1989 für sich. Einer der Protestler trug eine schwarze Jacke mit einem weißen Aufnäher, auf dem die Worte "Einigkeit, Gerechtigkeit und Freiheit" in Deutschlandfarben zu lesen waren.

Vom Rathaus aus zogen die "Spaziergänger" vorbei an den Gegendemonstranten am Schrannenplatz. Dabei kam es zwar nicht zu Ausschreitungen, allerdings wurde kurz gejohlt. Anschließend marschierte der Zug über die Martin-Huber-Treppe, Frühlingsstraße und Münchner Straße zurück in die Altstadt. Die Gespräche unter den Demonstranten drehten sich unter anderem um die vergangene Silvesterfeier, um die Abkehr von den "Mainstream-Medien" und darum, dass der eigene Sohn doch "alle Leute von der Straße" zu einer Party einladen könne, "damit wir alle immun werden".

© SZ vom 05.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Von Berit Kruse (Daten) und Jessica Schober (Text)

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