Jahresrückblick:Das Corona-Jahr im Landkreis Dachau

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Ein Foto mit Symbolkraft für das Jahr 2020: die Skulpturen des Bildhauers Bernd Schmidt-Pfeil an der Bergkirchner Schule. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Zu Beginn der Pandemie im Februar unterschätzt die Kommunalpolitik das Ausmaß der Katastrophe. Dann verbreitet sich das Virus rasant. Nach einer Atempause bricht die zweite Welle über das Dachauer Land herein.

Von Helmut Zeller, Dachau

Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) hat sich damals nicht wenig gewundert. Am Morgen nach der Kommunalwahl am 15. März verhängte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den ersten Lockdown in Bayern. Die Wahlhelfer sind gerade noch mit der Auszählung der Stimmen beschäftigt. "Das war eine kuriose Situation", sagt Hartmann heute, neun Monate später, im zweiten Lockdown. Die Wahlhelfer konnten ja schlecht nach Hause gehen und die Unterlagen liegen lassen. Die CSU hatte die Wahl unbedingt durchziehen wollen - aber es kam anders als gewünscht, in Dachau jedenfalls. Der Sozialdemokrat Hartmann fuhr einen grandiosen Wahlsieg ein, trotzdem er, vielleicht auch gerade weil er als einer der ersten Kommunalpolitiker auf die Corona-Pandemie reagiert und Rathausmitarbeiter freigestellt hatte, um das Ansteckungsrisiko zu verringern.

Viele andere scheinen damals die Seuche irgendwie für weit entfernt zu halten. Seltsamerweise. Das neuartige Coronavirus Sars-Cov-2 aus dem chinesischen Wuhan ist nicht nur im Tiroler Skiort Ischgl, sondern schon in Nordrhein-Westfalen. Und Deutschland hat Ende Februar nach dem Fasching die Kontrolle über die Infektionsketten verloren. In der Rückschau auf das Corona-Jahr im Landkreis Dachau sind die Monate Februar und März wichtig - Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versucht zunächst, das Virus fern zu reden. Dann, Ende Februar, räumt er die Pandemie ein. Auch Virologen treten Wochen zuvor noch eher sorglos auf. RKI-Chef Lothar Wieler meint Mitte Februar noch, das Virus werde wie eine schwere Grippewelle durch Deutschland laufen. Auch der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, beruhigt: "Der einzelne muss sich nicht überlegen, dass er demnächst stirbt. Das wird nicht passieren." Am 2. März, knapp zwei Wochen vor der Kommunalwahl, kursiert das Virus in zehn Bundesländern, mehr als 150 Menschen sind offiziell infiziert.

Das Gesundheitsamt ist völlig überlastet: Der Arbeitstag dauert in der Regel von 7 bis 23 Uhr

Die Kommunalwahl findet Landrat Stefan Löwl "vollkommen unproblematisch", wie er der SZ damals sagt, auch wenn die Lage derzeit wegen des Coronavirus angespannt sei. Denn trotz allem müsse man das öffentliche Leben auch in den nächsten Tagen und Wochen aufrechterhalten. Er selbst habe drei Wahllokale in Dachau besucht, in allen sei die Stimmung unaufgeregt gewesen und Verhaltensregeln, wie etwa das Vermeiden von engem Kontakt, eingehalten worden.

Im Landkreis sind am 13. März zwölf Menschen mit dem Virus infiziert. Darunter sind laut Löwl "klassische Verdachtsfälle", die aufgrund von Symptomen oder einer vorherigen Reise in ein Risikogebiet einen Arzt aufgesucht hatten. Der Landrat beruhigt, dass die Rate trotzdem immer noch sehr niedrig sei. Denn von etwa 20 Kontaktpersonen gebe es eben nur bei einer ein positives Testergebnis. Die ersten zwei Fälle waren Schüler der Berufsschule Karlsfeld, einer stammt gar nicht aus dem Landkreis, sondern aus München. Das betont der Landrat, vielleicht soll das beruhigend klingen. Zehn Tage später liegt die Zahl der Infizierten bei 106. Ein paar Wochen später wird Löwl auf Facebook posten: "Gott steh uns bei!" Zwischenzeitlich war der Landkreis unter den zehn am stärksten betroffenen Kreisen Bayerns.

Die SZ Dachau sagt ihre geplante Podiumsdiskussion mit den Kandidaten für das Oberbürgermeisteramt eine Woche vor der Kommunalwahl ab. Daraufhin erhebt sich in den sozialen Medien ein Shitstorm. Stadtrat Wolfgang Moll, Kandidat der von ihm gegründeten Wählergruppierung "Wir", wittert fast eine Verschwörung, um ihm eine Wahlkampfbühne zu nehmen. Einen starken Auftritt legen auch die Freien Wähler Dachau (FWD) hin, die mit drei Sitzen im Stadtrat vertreten sind. Sie spotten über die SZ, andere User werfen ihr Feigheit vor. Auf die Idee, dass Aussagen von Politikern so wichtig gar nicht sein können, um 200 bis 300 Besucher des Thoma-Hauses einem Infektionsrisiko auszusetzen, kommen sie nicht. Kurz vor dem Wahlsonntag veranstalten die FWD noch einen Infostand unter dem Motto: "Wir lassen Euch nicht allein" - seitdem hat der Dachauer Wähler die Gruppierung, die gerne populistisch auftritt, kaum mehr gesichtet. In der Not ist sich jeder selbst doch der Nächste; das ist nur menschlich.

Inzwischen, am 9. März, hat es die ersten beiden Corona-Toten in Deutschland gegeben. Vier Tage später beschließt Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidentenrunde, Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen auf Pandemiebetrieb umzustellen. Die Corona-Krise offenbart eklatante Schwachstellen in der medizinischen Versorgung. Die Gesundheitsämter, denen die zentrale Aufgabe in der Seuchenbekämpfung obliegt, wurden in den vergangenen Jahren heruntergespart. In der ersten Corona-Welle Ende März und Anfang April wurden der Behörde bis zu 50 neue Fälle am Tag gemeldet. Arbeitstage dauerten plötzlich von 7 bis 23 Uhr. Die Experten sollen die Infektionsketten feststellen, auch im Landkreis werden fünfzig zusätzliche Kräfte zu den neun für den Infektionsschutz eingesetzt.

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In Dachau baut das Amperklinikum seine Intensivstation mit mehr als 50 Beatmungsbetten aus. In aller Eile wird eine Notklinik für Corona-Patienten aus der ganzen Region errichtet, die später zurückgebaut werden kann. Es fehlt an Ausrüstung - Schutzmasken, Kittel, Handschuhe und Desinfektionsmittel. Deshalb wohl wird anfangs von Politik und Experten der Sinn von Schutzmasken in Frage gestellt. Heute müssen sie auch in der Öffentlichkeit, etwa in der Münchner Straße in Dachau, getragen werden.

Vor allem aber fehlt es an Personal, Pflegekräften in den Kliniken. Auch in Dachau. Seit Jahren schon protestieren Krankenschwestern und Pfleger im Helios-Amperkliniken AG Dachau gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen. Ohne Erfolg. Die Krankenhäuser sind Wirtschaftsbetriebe, die schwarze Zahlen schreiben wollen. Da nimmt es die Chefetage den Beschäftigten nur übel, wenn sie auf Missstände hinweisen. Noch in seinem Jahresbericht im November wird der Klinikgeschäftsführer vor dem Kreistag - der Landkreis ist mit fünf Prozent am Klinikum beteiligt - die Kritiker sinngemäß als einen marginale Gruppe abtun.

Die Ausgangsbeschränkungen bremsen die Ansteckungszahlen deutlich

Am 4. April wurde die Dachauer Klinik für zwei Tage komplett geschlossen, weil auf einer Station ein unerkannter Corona-Fall entdeckt worden war. In der Pressemitteilung der Konzernspitze stand darüber kein Wort. Es war die Rede von einem Beschluss der Leitung, angeblich künftig nur noch Corona-Patienten aufzunehmen. Die Landkreisbürger äußern sich in den sozialen Medien entsetzt und hilflos. Der Aufsichtsrat, stellvertretender Vorsitzender ist Landrat Löwl, nimmt die versuchte Desinformation der Bürger durch die Maulkorb-Klinik zumindest öffentlich ohne ein Wort der Kritik hin.

Im Juli sagt Löwl, dass die Gesundheitsversorgung im Landkreis nur drei bis vier Tage vom Kollaps entfernt gewesen sei. Hätten die Ausgangsbeschränkungen die Ansteckungszahlen nicht deutlich gebremst, "hätten wir Zustände wie beispielsweise in Bergamo bekommen und wären gegen die Wand gefahren". Bis Juli sind auch bereits eine von den eineinhalb Millionen Euro, die der Landkreis für die Seuchenbekämpfung bereitgestellt hat, verbraucht. Die Kommunen sind - finanziell - die Leidtragenden. Es gibt Zuschüsse von Bund und Land, natürlich, aber zunächst haben die Gemeinden und Städte, auch organisatorisch die Hauptlast zu tragen. Das vor dem Hintergrund, wie Oberbürgermeister Hartmann sagt, dass die Kommunen ohnehin mit einer steigenden Zahl von Aufgaben konfrontiert sind. Vor allem 2021 wird hart: Die Steuereinnahmen brechen in der Krise weg.

"Die Pflicht ist erfüllt", sagt Landrat Löwl zum Jahresende über die Arbeit der Kreisbehörde. "In der Kür", räumt er ein, habe es vielleicht Versäumnisse gegeben, aber die seien entschuldbar. Das klingt nach Bundesminister Spahn, der schon mal von einem gegenseitigen Verzeihen nach der Pandemie gesprochen hat. Aber die ist noch nicht vorbei. Nach März und April schien die Lage beruhigt. Dann kam die zweite Welle - der als "Wellenbrecher" gedachte Teil-Lockdown im November verpuffte. Der Stand am Tag vor Weihnachten: Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner beträgt 177, 54. Insgesamt waren es 4238 Fälle im Landkreis, darunter 78 an Covid-19 Verstorbene. Vielleicht hätte man gleich und nicht erst Mitte Dezember einen Lockdown gebraucht. Im Nachgang, meint der Landrat, sei man immer schlauer. Nicht immer: Seit 100 Jahren besteht die Politik der Weltgesundheitsbehörden nur darin, Hals über Kopf auf Pandemien zu reagieren, wie der US-Virologe Nathan Wolfe kritisiert.

© SZ vom 29.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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