Caritas-Projekt:Bin ich schuld, Mama?

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Kinder leiden unter den psychischen Erkrankungen ihrer Eltern, sie kapseln sich ab und suchen die Verantwortung bei sich selbst. Das Projekt "Kinderleicht" soll ihnen helfen, die Erlebnisse künstlerisch zu verarbeiten.

Von Petra Schafflik, Dachau

Schwarze, spitze Zähne im weit aufgerissenen, feuerroten Mund, das ganze Gesicht eine angsteinflößende Fratze. Als bedrohliches Monster hat der kleine Tim seinen Vater gemalt, der plötzlich immer genervt ist und nur noch schimpft. Ganz anders die Mama von Daniela, die in der Zeichnung ihrer Tochter fast verschwindet. Als fragile, zarte Figur liegt sie im Bett - so erlebt das neunjährige Mädchen ihre an einer Depression erkrankte Mutter besorgniserregend oft.

Die bunten Gemälde von Tim und Daniela zeigen eindringlich, wie Mädchen und Buben unter der psychischen Erkrankung ihrer Eltern leiden. Kurze Texte begleiten die Illustrationen, schildern aus Kindersicht das Familienleben mit einem Vater oder einer Mutter, die an einer Psychose, Depression, bipolaren Störung oder Suchterkrankung leidet. Bilder und Texte, die einen berührenden Einblick geben in Ängste, Sorgen, Hoffnungen und Wünsche von insgesamt zwölf betroffenen Mädchen und Buben, sind in der Ausstellung "Kindersprechstunde" zu sehen, die am Montag, 11. März, um 18 Uhr mit einer Vernissage in den Räumen der Volksbank Dachau (Augsburger Straße 33-35) eröffnet wird.

Anrührende Bilder sind in der Schalterhalle zu sehen

Nach Dachau geholt wurde die Präsentation von den Mitarbeitern des Caritas-Projekts "Kinderleicht", die sich seit zwei Jahren um psychisch kranke Eltern und ihre Kinder kümmern. Ziel sei, "dass Ängste und Scham bei den Betroffenen geringer werden, dass sie sich Hilfe holen", erklärt Sozialpädagogin Ursula Dangl vom Projekt Kinderleicht.

Ursula Dangl, Michael Martinz und Eva-Maria Drerup, die drei Initiatoren des Projekts, wollen einen Einblick in jene Lasten gewähren, unter denen Familien mit psychisch kranken Eltern zu leiden haben. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Es sind anrührende Bilder und Texte, die in der Schalterhalle der Dachauer Volksbank zu sehen und zu lesen sind. Überschriften wie "Mama ist im Krankenhaus wegen Traurigsein" oder "Papa wollte tot sein" machen es fast unmöglich, nicht stehen zu bleiben und jede der zwölfkurzen Fallschilderungen zu lesen, jedes der Bilder genauer anzusehen. Und sich dabei einzufühlen in die Mädchen und Buben, die da in der Kindersprechstunde des Bezirkskrankenhauses Augsburg ihre Seele geöffnet haben. Die so dem Betrachter einen kleinen Einblick gewähren, die enorme Last spüren lassen, unter der in Familien mit psychisch belasteten oder suchtkranken Eltern gerade auch die Kinder leiden. Und das vielfach still und unbemerkt.

Psychisch Erkrankte verheimlichen ihr Leiden oft

Denn nach wie vor gibt es rund um seelische Leiden viele Ängste, erklärt Pädagogin Eva-Maria Drerup vom Projekt Kinderleicht. Wer nach einem schweren Unfall längere Zeit Unterstützung braucht oder die Diagnose Krebs erhält, kann auf Verständnis und Hilfe aus seinem sozialen Umfeld rechnen.

Anders bei psychischen Erkrankungen, die von den Betroffenen noch vielfach aus Scham verheimlicht würden, wie Psychologe Michael Martinz vom Projekt "Kinderleicht" erklärt. "Die Familien leben oft zurückgezogen, versuchen nach außen den Schein zu wahren, haben Angst, sich Hilfe zu holen." Vielfach gebe es auch die Sorge, das Jugendamt könnte die Kinder aus der Familie nehmen, wenn Eltern aufgrund ihrer Krankheit nicht voll belastbar sind. Die Kinder wiederum spüren die Not der Eltern, "oft verhalten sie sich enorm angepasst, wollen nur nicht auffallen", sagt Sozialpädagogin Dangl.

Die Kinder managen den Alltag

Nicht selten managen die Mädchen und Buben den Alltag, nehmen sich zurück, funktionieren. So wie die neunjährige Daniela, deren Bild und Text in der Ausstellung zu sehen sind. Sie macht morgens das Frühstück, geht selbständig zur Schule und kümmert sich nach ihrer Rückkehr um Haushalt und Abendessen. Mit einer Depression, das weiß das Mädchen, "da schafft man nichts mehr, nicht mal aufstehen."

Die bunten Gemälde der Kinder zeigen eindringlich, wie Mädchen und Buben unter der psychischen Erkrankung ihrer Eltern leiden. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Oft, das beobachten auch die Experten vom Projekt Kinderleicht, suchen die Kinder auch die Schuld für die Erkrankung ihrer Eltern bei sich selbst. So wie Stefan, der sich ebenfalls mit Bild und Text an der Ausstellung beteiligt hat. Seine Mama ist lange schon im Krankenhaus "wegen Traurigsein". Der Siebenjährige macht sich Vorwürfe, "dass ich auch ein bisschen daran schuld bin, weil ich immer so nervig bin und die Mama so viel mit mir schimpfen muss."

Gerade weil die Kinder oft stumm leiden und nicht im Blick sind in Familien, in denen Vater oder Mutter alle Kraft brauchen, um zu genesen, gibt es "Kinderleicht". In diesem Kooperationsprojekt der Dachauer Caritas arbeiten Experten des sozialpsychiatrischen Dienstes und der Elternberatung zusammen, organisieren für psychisch kranke oder suchtbelastete Eltern und deren Kinder Beratung, Gruppentreffen und Freizeitaktivitäten. Alle Angebote sind kostenlos und anonym. Damit die Unterstützung auch in jeden Winkel des Landkreises getragen wird, bietet "Kinderleicht" auch eine Fachschulung für die Fachkräfte in Kitas und Schulen. Ziel aller Bemühungen, so Michael Martinz: "Dass sich Eltern frühzeitig Hilfe holen, bevor die Kinder auffällig werden und die Familie in Not gerät".

Die Ausstellung "Kindersprechstunde" ist in der Schalterhalle der Dachauer Volksbank in der Augsburger Straße 33 - 35 zu den Geschäftszeiten noch bis Donnerstag, 4. April, zu sehen. Dort liegen auch Flyer auf zu Angeboten im Dachauer Caritas-Projekt "Kinderleicht". Unabhängig von der Ausstellung gibt es Informationen dazu auch unter Telefon 08131/298-1500 bei der Elternberatung, unter Telefon 08131/298-1400 beim Sozialpsychiatrischen Dienst oder im Internet unter www.caritas-dachau-kinderleicht.de

© SZ vom 11.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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