Theater:Travestie und Turbulenzen

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Ziemlich beste Freundinnen: Butler Francourt Babberley (Ansgar Wilk) spielt Charleys Tante. Anny und Kitty (Sarah Giebel und Jessica Dauser) sind entzückt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Hoftheater Bergkirchen entstaubt mit seiner Inszenierung von "Charleys Tante" einen echten Unterhaltungsklassiker und sorgt dabei für wunderbare Überraschungseffekte.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Charleys Tante ist ein echter Oldie. Denn die - je nach Inszenierung - Klamotte, Komödie oder Farce von Brandon Thomas hatte bereits 1892 Premiere. Seither musste dieser britische Unterhaltungsklassiker unzählige Liftings über sich ergehen lassen, wie etwa in den Filmen mit Heinz Rühmann und Peter Alexander. Im Hoftheater Bergkirchen haben sich Regisseur Herbert Müller und sein Team für eine Art Generalüberholung inklusive gründlicher Entstaubung entschieden. Herausgekommen sind zwei Stunden glänzender Unterhaltung mit vielen wunderbaren Überraschungseffekten. Sie sorgten für strapazierte Lachmuskeln und Beifallsstürme im Publikum.

Der Hoftheater-Plot lehnt sich ans Original an: Zwei Junggesellen leben im Oxford der 1920er-Jahre genüsslich in den Tag hinein, verlieben sich in zwei junge Frauen, benötigen - die Historie lässt grüßen - aber fürs Rendezvous dringend eine Anstandsdame. Da kommt die Tante aus Brasilien gerade recht. Blöd nur, dass sie nicht erscheint und der Butler die Tantenrolle übernehmen muss. Ein Colonel aus dem Bilderbuch und ein ziemlich aus der Rolle fallender Onkel und Vormund sowie eine ungarische Waise spielen ebenfalls wichtige Rollen.

In ihren Dialogen ist immer einer das Sprachrohr des anderen

Die beiden Junggesellen sind der möchtegern-pfiffige Charley Wickham und der schnöselige Jack Chesney. Tobias Zeitz ist ein etwas unbedarfter Charley, aber ein echter Sonnenschein. Stephan Roth ist nicht wirklich ein Sympathieträger, sondern ein klassenbewusster Arroganzling, der nur zu gerne seine Umgebung kujoniert. Der dritte im Bunde ist Francourt Babberley, genannt Babbs, ein verarmter Lord, der sich als Butler durchschlägt.

Ansgar Wilk - in vorschriftsmäßigem Butler-Outfit mit gestreifter Weste und Fliege um den Hals - ist das Idealbild eines "Gentlemen's Gentleman", korrigiert auf unnachahmliche Weise den überheblichen Jack, kommentiert mit eleganter Körpersprache wortlos dessen Sottisen - und gönnt sich regelmäßig eine "Quartalsmelancholie". Charley müht sich derweil vergebens, eine Einladung an seine Herzensdame zu schreiben.

Die beiden Junggesellen Jack Chesney (Stephan Roth, l.) und Charley Wickham (Tobias Seitz, Mitte) benötigen für ein Rendezvous eine Anstandsdame. Da kommt Butler Francourt Babberley (Ansgar Wilk) gerade recht. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Charleys echte Tante (Helena Huber) durchschaut schnell das Vexierspiel mit den Klamotten. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Geschickter dramaturgischer Kniff: In ihren Dialogen ist immer einer das Sprachrohr des anderen und wiederholt das gerade Gesagte. Alleine das sorgt schon für Lacher ohne Ende. Aus dem Rendezvous soll ein Champagnerfrühstück zu fünft werden, denn Donna Lucia d'Alvadorez, Charleys reiche brasilianische Tante hat sich angekündigt. Weil sie bekanntlich (noch) nicht erscheint, muss der arme Babbs widerwillig in Frauenkleider schlüpfen und Tante spielen.

In so mancher Inszenierung hat diese Travestie heutzutage einen trashigen Beigeschmack. Doch Ansgar Wilk schafft den Rollenwechsel mühelos, ist eine widerwillige Tante im Glitzerfummel mit Piepsstimme und bleibt das nur allzu verführbare Mannsbild in Frauenkleidern. Er ist endgültig überfordert, als ihn die Herzensdamen der beiden Junggesellen schnell zu ihrer besten Freundin ernennen. Der Ärmste ahnt nicht, dass es noch schlimmer kommen wird.

Er wanzt und schlängelt sich an die falsche Tante ran

Anny und Kitty (Sarah Giebel und Jessica Dauser) sind liebreizende junge Frauen in bequemen sogenannten Reformkleidern. Diese hat Ausstatterin Ulrike Beckers nach einem Entwurf von Coco Chanel geschneidert. Für Anni und Kitty sind sie sozusagen äußere Zeichen innerer Emanzipation. Denn Anny und Kitty verfolgen sanft, aber unbeirrbar ihre Ziele. Babbs muss sich ziemlich anstrengen, um nicht aus der Tantenrolle zu fallen. Und dann wird es ihm/ihr endgültig zu viel. Taucht doch Jacks Vater, der schneidige Colonel Sir Francis Chesney auf. Er ist in Geldnöten, muss seinem Sohn gestehen, dass dieser das Undenkbare in Angriff nehmen muss, nämlich arbeiten und sieht in einer Ehe mit der brasilianischen Tante einen Ausweg.

Wie Herbert Müller diesen alten Militär mit seinem undurchsichtigen Lebenswandel überzeichnet, ist unwiderstehlich komisch. Doch dieser Verehrer wird locker von Stephan Spettigue, Onkel und Vormund von Anny und Kitty vom Spielfeld gedrängt. Jürgen Füser ist dieser geld- und auch sonst geile Advokat im fast perfekten Schottenlook mit ein paar Haferlschuhen als modischem Stilbruch. Er wanzt und schlängelt sich an die falsche Tante ran, umgarnt und umschlingt sie mit geradezu akrobatischem Können. Das muss man gesehen haben.

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Die echte Tante aber ist eine würdige Gegnerin des alten Lüstling. Helena Huber ist diese elegante, souveräne Lady, die schnell das Vexierspiel mit Klamotten und Gefühlen durchschaut, ihre eigenen Schlüsse zieht, mit Würde und Gelassenheit den gordischen Knoten der Gefühle und verwandtschaftlichen Verbindungen durchschneidet und letztendlich alle, auch ihrem Schützling Jusika Kolosvary zu ihrem Glück verhilft. Lucca Rabenstein spielt diese ungarische Waise mit viel Charme, Gefühl und gesundem Menschenverstand, ohne allzu viel Paprika in Sprache, Mimik und Gestik zu verstreuen.

Die kleine Hoftheater-Bühne kann die vielen Mitwirkenden manchmal kaum fassen, aber "Charleys Tante" gleitet niemals ins Klamottige ab, sondern bietet schönste Unterhaltung. Daran hat auch ein fabelhafter Regieeinfall großen Anteil: Als wären es noch nicht genug der Turbulenzen singen und spielen die tollen Schauspieler noch einige Hits aus My fair Lady als musikalische Einlage - und toppen damit die eigene großartige Leistung. Im Publikum wird geklatscht und getanzt, zwei Stunden befreiender Fröhlichkeit gehen wie im Flug vorbei und Charleys Tante hat ein echt witziges Revival erlebt.

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