Amtsgericht Dachau:Schuld sind immer die anderen

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Krawall ist sein Hobby: Ein junger Erdweger beschäftigt die Justiz derart, dass sie mit den Verurteilungen kaum noch nachkommt.

Gregor Schiegl

Die Großeltern hätten ihren Enkel einfach zu sehr verwöhnt, zu allen sei er frech. Alte Omas trete er und spucke sie an."Ein richtiger Rotzlöffel." So schilderte ein 21-Jähriger Mann aus Erdweg vor dem Jugendschöffengericht das Verhalten eines Jungen aus der Nachbarschaft.

Totalitär, krank, inkompetent. Wer eine Sachbearbeiterin mit solchen Vokabeln belegt, kann sich nicht auf seine Meinungsfreiheit berufen. Das hat ein 27-Jähriger Vater am Amstgericht Dachau lernen müssen.   (Foto: dapd)

Dieser hatte sich im August vergangenen Jahres sein Fahrrad geschnappt. Es stand draußen. Nicht abgesperrt. "Ich habe einen Schock bekommen, als es weg war." Schließlich hatte er es sich selbst nur geliehen, ein schickes weißes Markenrad. Eines von der teuren Sorte. "Ich habe nicht viel Geld". Der 21-Jährige ist Azubi, Kfz-Servicekraft.

An einem Laden entdeckte er das Rad wieder - und auf dem Sattel den elfjährigen vermeintlichen Missetäter. Der ließ vor Schreck alles fallen, nahm durch den Laden Reißaus und floh durch die Hintertür zu seinem Opa nach Hause. Der junge Mann kam auf dem Rad hinterher, um mit den Großeltern ein ernstes Wörtchen zu reden. "Denn so geht's ja nicht." Aber die Großeltern machten nicht auf. "Sie standen hinter der Tür und lachten."

Die Großeltern schilderten das vor dem Amtsgericht ganz anders. "Er hat an die Tür getreten wie ein Ochs", berichtete die Großmutter. Wenn er nicht aufhöre, werde sie die Polizei rufen. Daraufhin der Angeklagte: "Wenn du das tust, bring ich dich um. Oder ich schicke einen Kollegen, der das macht." Angeblich gehört der 21-Jährige zur "Hinterland Gang", einer losen Gruppierung junger Krawallmacher. Die Großeltern fürchteten zwar nicht um ihre Sicherheit, aber um die des Enkels. Zwei Monate habe der Junge aus Angst das Bett eingenässt, sagte der Großvater. "Nur wegen dem."

Der Erdweger hat eine lange Latte von Jugendstrafen. Verurteilt wurde er bereits für Betrug und Erschleichung von Leistungen, für fünf gemeinschaftliche Diebstähle und sechs Fahrten ohne Fahrerlaubnis, dazu reihenweise Sachbeschädigungen. Zwei Fälle sind noch gar nicht verhandelt. So brauste der 21-Jährige jüngst bei einer Verkehrskontrolle betrunken davon. Mit der Polizei lieferte er sich nach Aussage eines Polizeikommissars eine Verfolgungsjagd, bei der er "alles umgemäht hat, was ihm im Wege war". Erst mit "massivem Einsatz von Pfefferspray" sei der Einsatz beendet worden. Schon früher habe sich der Erdweger "halsbrecherische Verfolgungsjagden" mit der Polizei geliefert.

Mit jenem Kommissar ist der Angeklagte auch persönlich aneinandergeraten, "der kann mich nicht leiden". Gleichwohl musste er einräumen, dass er den Beamten wüst beschimpft hat. Dieser war mit einer Kollegin frühmorgens um sieben bei ihm aufgetaucht und wollte Führerschein und Ausweis sehen. In der unaufgeräumten Wohnung fand der Azubi die Papiere aber nicht sofort - und geriet, wie so oft, immer mehr in Rage.

"Nichts fruchtet"

"Er hat angefangen zu pumpen wie ein Maikäfer." Als er sich dann auch noch bückte, um ein Metallrohr aufzuheben, vermutlich Teil eines Besenstiels, fühlte sich der Kommissar bedroht, und drohte seinerseits, von der Dienstwaffe Gebrauch zu machen, wenn er die Stange anfasse. In der Verhandlung sagte der Angeklagte, er habe sich nur mit dem Fuß an der Stiel gestoßen und nie vorgehabt, ihn als Waffe einzusetzen. Das Gericht zweifelte zwar an der Darstellung, konnte dem Angeklagten freilich eine böse Absicht auch nicht nachweisen.

Der Angeklagte habe sich in einer Opferrolle eingerichtet, sagte der Jugendgerichtshelfer, schuld seien immer die anderen. Dem Mann fehle jede Eigenverantwortlichkeit und auch die Bereitschaft etwas an seinem Leben zu ändern. "Er wird nicht zum Regisseur seiner eigenen Geschichte." Der junge Mann habe unter anderem eine Alkoholberatung und eine Anti-Aggressionstherapie hinter sich gebracht, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. "Wir haben so gut wie alles versucht, nichts fruchtet." Richter Daniel Dorner dachte denn auch laut über einen Freiheitsentzug nach wie ihn die Staatsanwältin vehement forderte.

Nach mehr als halbstündiger Beratung beschloss das Schöffengericht aber, davon noch ein letztes Mal abzusehen und aus der Verurteilung mit der offenen Bewährungsstrafe von acht Monaten eine neue Gesamtstrafe von zwölf Monaten auf Bewährung zu bilden. Der Richter schärfte dem Angeklagten ein, dass er seien Aggression unbedingt in den Griff bekommen müsse. "Sonst ist der Vollzug der Haftstrafe unumgänglich."

© SZ vom 07.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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