CSD in München:"Die längste und größte CSD-Parade, die ich je gesehen habe"

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Farbe und Offenheit sind Trumpf: Der Christopher Street Day und und die Pride Week geraten zu einer eindrucksvollen Demonstration für Toleranz und Frieden. (Foto: Leonhard Simon)

Der Christopher Street Day ist nach zwei Jahren Corona-Pause wieder auf die Straße zurückgekehrt. So viele Menschen wie an diesem Samstag haben daran wohl noch nie teilgenommen. Die Polizei geht von bis zu 400 000 Akteuren und Zuschauern aus.

Von Thomas Anlauf

Am Marienplatz ist am Samstagnachmittag kein Platz mehr. Zehntausende sind es nach ersten Schätzungen des Polizeipräsidiums, die an der Parade des Christopher Street Day (CSD) teilgenommen haben, dazu kommen noch Tausende Menschen, die am Straßenrand die bunte Parade beobachten. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagt unter dem Jubel der Menschenmassen auf der großen Bühne: "Ich bin ja schon ein paar Jahre dabei, aber das heute ist unglaublich."

Auch der politische Sprecher des CSD und Stadtrat der Rosa Liste, Thomas Niederbühl, ist überwältigt: "Ich glaube, das war die längste und größte CSD-Parade, die ich je gesehen habe." Am Sonntag bestätigt das Polizeipräsidium die beeindruckenden Zahlen: 25 000 bis 27 000 Menschen haben allein an der Parade teilgenommen, zwischen 350 000 und 400 000 Menschen sahen beim Umzug zu oder feierten rund um den Marienplatz mit.

Kein Platz mehr auf dem Marienplatz: Bis zu 400 000 Menschen drängten sich beim Umzug und den Feiern auf der Straße. (Foto: Leonhard Simon)

Schon von 10 Uhr an versammeln sich am Mariahilfplatz in der Au die Teilnehmer, insgesamt sind es etwa 140 Gruppen, die sich in einem riesigen Tross auf der vier Kilometer langen Strecke über die Reichenbachbrücke, den Gärtnerplatz und den Sendlinger-Tor-Platz bis zum Marienplatz aufmachen. Um 12 Uhr starten die ersten Teilnehmer, gegen 13.30 Uhr fahren die letzten Parade-Wagen in der Au los.

Schon am Mittag stehen Tausende Menschen am Sendlinger Tor und am Oberanger, die auf die laute und bunte Parade warten, die in diesem Jahr unter dem Motto "Less me, more we", also "Weniger ich, mehr wir" steht und ein Signal für eine tolerante und friedliche Welt aussenden will. Am Straßenrand nahe dem Rindermarkt steht Bruno Karl aus Köln und fragt seinen Nachbarn: "Worauf warten denn die ganzen Menschen hier?" Es sei die CSD-Parade, "und die ist besser als der Karneval in Köln", sagt der Münchner, der auf einer Stufe vor dem Stadtmuseum sitzt.

Für Toleranz und Frieden standen die Teilnehmer. (Foto: Leonhard Simon)
Zu den Teilnehmern zählte auch der FC-Bayern-Fanclub "Queerpass". (Foto: Leonhard Simon)
Tradition trifft modernes Lebensgefühl. Auch für Trachtengruppen war Platz in der Parade. (Foto: Leonhard Simon)
Das Symbol für den Christopher Street Day: die Regenbogenflagge. (Foto: Leonhard Simon)

Zwei Minuten später ist von weitem der Beginn der Parade zu sehen. Angeführt wird sie von Menschen aus der Ukraine, ein riesiges blau-gelbes Herz aus Luftballons hängt über den Köpfen der Teilnehmenden. Dahinter folgen auf dem kilometerlangen Konvoi 50 Fahrzeuge und 90 Gruppen, die zu Fuß die Strecke laufen. Doch es dauert noch mehr als zwei Stunden, bis die letzten Menschen am Marienplatz eintreffen. Viele tragen Regenbogenflaggen um die Schultern, andere der LGBTIQ-Community haben bis auf Netzstrümpfe und Bikini relativ wenig an. Um 17 Uhr hat es schließlich noch 25 Grad im Schatten, und die CSD-Party hat gerade erst begonnen.

Will weiter Zeichen setzen: Wolfgang Rothe, hier beim Christopher Street Day (CSD) 2022 in München. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Am Mariahilfplatz steht am Samstag Wolfgang F. Rothe mit Regenbogenflagge in der Menschenmenge. Der katholische Pfarrer aus Perlach ist an seiner Kleidung eindeutig als Priester erkennbar. "Ich bin vorher gewarnt worden", sagt er am nächsten Tag am Telefon. Schließlich könne es Anfeindungen geben wegen all der Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche. Doch die Resonanz auf seinen Besuch sei durchaus positiv gewesen. Die Stimmung sei "überwältigend positiv" gewesen.

"Ich sehe auch keinen Grund, mich zu verstecken. Man muss als Kirche Zeichen setzen." Rothe ist dafür durchaus bekannt. Im vergangenen Jahr segnete er homosexuelle Paare in der Kirche. In einem Porträt der BBC wurde er als eine der bekanntesten Persönlichkeiten innerhalb der kirchlichen Reformbewegung beschrieben.

Allein in der Altstadt drängen sich Zigtausende um die aufgebauten Stände und die Bühne auf dem Marienplatz. (Foto: Leonhard Simon)

Auch an diesem Sonntag begeht München den Christopher Street Day, mehr als 70 Infostände sind in der Altstadt aufgebaut. Erstmals ist auch die Münchner Polizei mit einem Stand dabei. Einige Beamte - am Samstag waren es lediglich 200 im Einsatz bei etwa 400 000 Demonstrierenden - tragen goldene Herzen auf der Uniform. Natürlich sind auch Diversity München, das schwule Kulturzentrum Sub, LesCommunity und die Münchner Aids-Hilfe da und wollen das Anliegen der Szene sichtbar und verständlich machen. Auch der Gay Outdoor Club GOC des Deutschen Alpenvereins, der erst vor wenigen Tagen die erste Regenbogenband am Jakobsplatz initiiert hat, informiert über das Leben der LGBTIQ-Gemeinschaft.

Schließlich geht es neben all der Lebensfreude an diesem Wochenende auch darum, weiterhin gegen Diskriminierung und für Toleranz und Chancengleichheit einzustehen. Und: Immer wieder geht es um den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Oberbürgermeister Reiter sagt: "Wir stehen mit unseren ukrainischen Freunden in einer Reihe, wenn es um Weltoffenheit und Toleranz geht."

Lydia Dietrich, langjährige und nun ehemalige Stadträtin, die auch mehrmals beim CSD in der Münchner Partnerstadt Kjiv war, betont, "dieser Krieg ist ein Krieg gegen die Freiheit, gegen die Menschenrechte und Autonomie, auch gegen das Recht auf sexuelle Identität". Der Christopher Street Day in München, das haben 400 000 Menschen demonstriert, ist dringend nötig in diesen düsteren Zeiten.

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