Schulen während Corona:Halbe Klassen und ganz viel Seife

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Philipp Volkmer ist Direktor an der Carl-von-Linde-Realschule. In den Klassenzimmern seines Schulhauses sind die Tische jetzt alle auf Sicherheitsabstand gebracht. (Foto: Florian Peljak)

Die Münchner Schulen bereiten sich darauf vor, dass nach und nach die Schüler in den Unterricht zurückkehren - und stehen vor immensen Herausforderungen.

Von Jakob Wetzel

Endlich sei wieder Leben in seiner Schule, sagt Philipp Volkmer. Es ist anders, es herrscht etwa kein Gewusel auf den Fluren der Städtischen Carl-von-Linde-Realschule, sondern strenger Rechtsverkehr mit Maskenpflicht und Abstandsgebot, auch nach vorne und hinten. Wenn sich Schülergruppen begegnen, sehe das aus "wie zwei Ameisenstraßen", findet Schulleiter Volkmer. Doch immerhin: Wenn er Schulleiter vormittags durch die Gänge geht, kann er wieder Menschen reden hören, manchmal auch lachen; damit niemand die Klinken anfassen muss, sind alle Türen nur angelehnt. "Es ist einfach nicht schön in einer Schule ohne Schüler", sagt er. "Wenn gar nichts los ist."

Am Montag wird noch mehr Leben zurückkehren in die Carl-von-Linde-Realschule im Westend - ebenso wie in alle anderen Schulen in Bayern. Und das wird für die Schulleiter, für die Lehrerinnen und Lehrer einerseits schön sein, andererseits aber eine Herausforderung. Die Schulen fahren den Betrieb in Schritten hoch: Seit dem 27. April erhalten die Abschlussklassen wieder Unterricht vor Ort. Am Montag folgen der Jahrgang darunter sowie an den Grundschulen die vierten Klassen; am 18. Mai kommen auch die ersten, die fünften und die sechsten Klassen zurück. Für die übrigen geht es zunächst mit Online-Unterricht weiter; nach den Pfingstferien sollen dann alle Kinder wieder Präsenz-Unterricht erhalten.

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An der Carl-von-Linde-Realschule bedeutet das: Bisher sind 145 Zehntklässler zurück. Am Montag kommen ähnlich viele Neuntklässler hinzu. Eine Woche darauf werden es dann fast vier Mal so viele Schüler sein. Doch der Aufwand, den die Schule betreibt, ist schon jetzt enorm.

Damit die Schüler die Abstandsregeln einhalten können, sind die sechs zehnten Klassen halbiert worden, zum Teil gar gedrittelt; die Lehrer halten dieselben Unterrichtsstunden nun bis zu dreimal nacheinander, dazu haben sie neue Stundenpläne ausgearbeitet, Klassenzimmer umgeräumt und festgelegt, wer welchen Eingang nutzen muss, damit sich möglichst wenige begegnen. Aus demselben Grund sind fast nur noch Doppelstunden vorgesehen. Die Schule habe mengenweise Handseife gekauft, sagt Volkmer. Und für die Abschlussklassen haben sie auch die Zahl der Stunden in einzelnen Fächern angepasst, für den Fall, dass eine Klasse zum Beispiel Probleme speziell in Chemie hat.

Volkmer führt durchs Haus, er will zeigen, wie eine Schule mit Abstand funktioniert, jedenfalls bisher. Etwa im zweiten Stock, im Klassenzimmer der 9 b, das zuletzt wie viele andere für die Zehntklässler da war. Der Direktor hockt sich auf ein einsames Pult mitten im Raum. Die übrigen Tische sind je eineinhalb Meter entfernt. Es hätten zwei Meter sein sollen, sagt er, aber das sei kaum möglich, sie haben alles mit dem Zollstock ausgemessen. Die überzähligen Pulte stehen in der Ecke. In den Gang hinaus konnten sie die Tische nicht tragen, sonst wäre dort kein Platz mehr gewesen für die Ameisenstraßen.

Platz ist ein Problem. In der Carl-von-Linde-Realschule gibt es 29 Klassenzimmer, bislang reicht das. Ab Montag aber werde es Schichtbetrieb geben, sagt Volkmer. "Die Schule muss möglichst gleichmäßig ausgelastet werden." Die eine Hälfte der Schüler werde von 8 Uhr bis mittags hier sein, die zweite danach. Unterrichtet wird dann auch in der Mensa und in der Turnhalle. Und der Unterricht sei ja nur ein Teil des Betriebs: In der Woche vom 18. Mai an kommt der Einschreibetermin für die neuen Fünftklässler auf die Schule zu, später folgen der Probeunterricht und die Prüfungen zur Mittleren Reife. "Es kommt gerade viel zusammen."

Anderen Schulen geht es ähnlich. Im Oskar-von-Miller-Gymnasium etwa gibt es schon Schichtbetrieb. "Ohne zeitliche Staffelung geht es gar nicht", sagt die Direktorin Angelika Schneider. Die 108 Schülerinnen und Schüler der Stufe Q 12 wurden bereits in zwei Gruppen aufgeteilt, und auch die anderen Schüler sollen jeweils zeitversetzt eintreffen, unterschiedliche Zugänge und Treppenhäuser benutzen und zu unterschiedlichen Zeiten Pause haben.

Damit es in den Fluren nicht durcheinander geht, bringen Lehrer die Schüler vom Eingang in die Klassenzimmer und zurück. Um alles zu entzerren, wird die Q 11, die ja ab Montag wieder im Haus ist, weiterhin teilweise online unterrichtet. Und besonderen Schutz genießt die Q 12. Am 20. Mai beginnen die schriftlichen Abiturprüfungen. Damit sich nicht vorher noch ein Schüler mit dem Virus infiziert, bleibt der Abschlussjahrgang räumlich für sich.

An den Grundschulen gibt es zusätzliche Herausforderungen

In einer besonderen Lage sind auch die Grundschulen. Gerade die Kleinen könnten Hygiene- und Abstandsregeln schwer einhalten, hat Ministerpräsident Markus Söder wiederholt betont. Entsprechend viel Aufwand treiben die Schulen. Schulleiter berichten von geteilten Klassen und Maskengeboten beim Kommen und Gehen, von räumlich getrennt und zeitlich versetzt geplanten Pausen und von Fluren, auf denen man nur noch in eine Richtung gehen dürfe. Präsenz-Unterricht gebe es nur in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sach-Unterricht, sagt Michaela Fellner, die Leiterin der Grundschule am Bauhausplatz. "Wir powern jetzt drei Wochen lang mit den Großen für den Übertritt." Wenn die Kleineren dazu kommen, werden sich die Klassen wöchentlich oder tageweise abwechseln, das klärten sie noch mit dem Elternbeirat.

Doch auch wenn mit Platz und Abstand alles klappt, gebe es ein weiteres Problem, sagt der Leiter der Grundschule an der Berg-am-Laim-Straße, Michael Hoderlein-Rein: Es fehle Personal. Schon vor der Corona-Krise gab es zu wenige Grundschullehrer. Jetzt haben diese auch noch mehr zu tun: Sie müssen sich um ihre Klassen daheim kümmern, um die Notbetreuung sowie zusätzlich um den Präsenz-Unterricht in Kleingruppen. Spätestens, wenn zusätzlich zu den vierten auch die ersten Klassen zurück sind, werde es knapp, sagt Hoderlein-Rein. Wie es gehen soll, wenn alle Schüler zurück sind, weiß er nicht.

Unter den Eltern sei die Stimmung gespalten, berichtet der Gemeinsame Elternbeirat der Grundschulen München (GEB). Dass der Unterricht zeitlich gestaffelt werden müsse, sei für Eltern organisatorisch schwierig, sagt die GEB-Vorsitzende Anke Sponer. Und die Schulöffnung polarisiere. An einer Umfrage des GEB im April haben sich mehr als 11 000 Familien beteiligt, das entspricht etwa einem Drittel aller Münchner Familien mit Grundschulkindern. Vielleicht hänge es davon ab, wie gut das Lernen zuhause jeweils funktioniere; doch die einen fänden die Schulöffnung überfällig. Die anderen finden, es laufe eigentlich bisher gut, und man hätte aus gesundheitlichen Gründen noch warten sollen.

Derartige Sorgen machen sich auch Lehrer. Man riskiere deren Gesundheit, klagt etwa Waltraud Lučić, die Vorsitzende des Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverbands. Im Kollegium gebe es Unbehagen, bestätigt Michael Hoderlein-Rein. Schule ohne Kinder, "das geht eigentlich nicht", doch ab 18. Mai hätten die Lehrer mit 200 Kindern zu tun, natürlich gebe es ein Infektionsrisiko. Er wünsche sich eine ehrliche Debatte darüber, sagt er. Denn wie gut das Abstandhalten klappen wird, weiß keiner. "Wir geben unser Bestes. Aber wer meint, dass wir in der Schule garantieren können, was auch zuhause nicht gelingt, nämlich die Sicherung der Abstandswahrung - der kennt keine Kinder."

Selbst bei Zehntklässlern würden die Regeln nicht immer eingehalten, erzählt Philipp Volkmer von der Carl-von-Linde-Realschule. Nicht aus böser Absicht, sondern aus jugendlichem Überschwang. Und was soll ein Lehrer tun, wenn sich Schüler nach der Abschlussprüfung umarmen? Er kann ja nicht dazwischengehen.

Der Unterricht sei für die Schüler ohnehin nicht einfach, sagt Volkmer. Gruppen- und Partnerarbeiten sind derzeit tabu, es laufe alles auf Frontal-Unterricht hinaus. Die Schülern müssen an den Tischen sitzen, auch in den Pausen. Trotzdem sollen sie sich konzentrieren. "Das ist viel verlangt", sagt der Direktor. Die älteren Schüler bekämen das halbwegs hin. Doch bei den fünften Klassen werde es ohne Bewegung nicht gehen. Dann werden die Lehrer mit kleineren Gruppen von Schülern zwischendurch ein paar Runden im Pausenhof drehen müssen. Mit Abstand.

© SZ vom 09.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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