Wirtschaft in München:Flexibel in der Krise

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Die Ingenieure Daniel Sisan und Steffen Müller (rechts) bauen Schutzhauben. (Foto: Florian Peljak)

Statt untätig aufs Ende des Corona-Ausnahmzustands zu warten, stellen viele Münchner Firmen ihre Produktion um - vom Autozulieferer bis zum Messebauer.

Von Kathrin Aldenhoff

Eigentlich entwickeln sie Produkte für die Automobilindustrie - bis Corona kam. Da wurden der Ingenieur Daniel Sisan und ein paar seiner Kollegen zu Corona-Schutzschild-Entwicklern. Helfen soll ihr Produkt Ärzten und Pflegern, Apothekern und allen anderen, die im direkten Kontakt mit Menschen arbeiten. So wie sie haben viele Firmen ihre Produktion inzwischen umgestellt. Das bayerische Wirtschaftsministerium weiß von einer mittleren zweistelligen Zahl von Unternehmen, die mit der Produktion von Masken begonnen haben - von solchen allerdings, die nicht für den medizinisch-pflegerischen Bereich geeignet sind.

"Unsere Unternehmen haben in den letzten Wochen ihre Flexibilität bewiesen und die Produktion rasch in Richtung dringend benötigter Schutzgüter umgestellt", sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Die Firmen bewiesen Standhaftigkeit beim Aufrechterhalten von Lieferketten und Findigkeit bei neuen Konzepten, wie Lieferservice und Nachbarschaftshilfe. Nur dürfe man nicht vergessen, dass es Branchen gebe, die nicht so einfach umstellen können.

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Zu den Unternehmen, die bereits umgestellt haben, gehört auch BMW, der Autobauer stellt jetzt Atemschutzmasken her. Dazu gehört aber auch eine Glaserei in der Nähe von Erding, die sich in kürzester Zeit auf mobile Spuckschutzscheiben spezialisiert hat. Und zu ihnen gehören Freiwillige wie Daniel Sisan und seine Kollegen.

Der Ingenieur druckte nach Plänen von Freunden aus seinem Heimatland Slowakei den Prototypen eines Corona-Schutzschildes auf dem 3-D-Drucker. Dann entwickelte er den Schild zusammen mit seinen Kollegen weiter. Zum Beispiel bestehe er jetzt nur noch aus vier Komponenten. Und das Gummiband, mit dem man den Schutzschild um den Kopf herum befestigt, hat Löcher, sodass es verstellbar ist.

Am Anfang schafften sie gerade mal zehn Schilde am Tag, dafür lief der 3-D-Drucker rund um die Uhr, erzählt Ingenieur Steffen Müller. Inzwischen produzieren sie täglich in einer Augsburger Firma 1500 Stück. Die Ingenieure arbeiten ehrenamtlich, die Firma produziert zum Selbstkostenpreis.

Wenn das eine nicht mehr gehe, dann müsse man eben schauen, dass was anderes gehe

Für die Helfer, das medizinische Personal, soll der Schutz kostenlos sein. Trotzdem kostet all das natürlich Geld - das Spritzgusswerkzeug, das Material, der Versand. "Wir sind auf Spenden angewiesen", sagt Lisa Winkler vom Verein Heimatstern, der sich um das Projekt kümmert. Die ersten Exemplare hätten sie bereits an Krankenhäuser verschickt. Und sie hätten auch schon Rückmeldungen bekommen: Dass die Hauben praktisch seien, wie gut es sei, dass sie das ganze Gesicht schützten, wie einfach sie zu desinfizieren seien.

Für Hans Hudler hingegen lief es am Anfang der Corona-Krise nicht gut. Seit 27 Jahren arbeitet er mit Glas, seine Firma Bayernglas in der Nähe von Erding ist auf den Messebau spezialisiert. Jetzt, wo alle Messen verschoben oder abgesagt werden, und wo viele Menschen unsicher sind, ob sie Handwerker zu sich ins Haus lassen sollten, sind viele Aufträge einfach weggefallen. Inzwischen aber hat Hudler einen Weg gefunden, mit der Krise umzugehen: Seine Maschinen fertigen keine Messebauteile mehr an, sie produzieren jetzt Spuckschutzscheiben. Innerhalb von nur zwei Wochen habe er rund 700 Stück verkauft.

Hans Hudler stellt nun mobile Spuckschutzscheiben her. (Foto: Renate Schmidt)

"Ich wollte meinen Mitarbeiter schützen, und so ist die Idee entstanden", sagt Hudler. Besagter Mitarbeiter, über 60 Jahre alt und Industrieverkäufer, hatte mal ein Problem mit der Lunge. Also haben sie einen separaten Eingang für sein Büro abgesperrt. Nur gefielen dem Chef die Absperrungen nicht. Er fragte sich: Warum mache ich die nicht aus Glas? Und so baute er ein Gebrauchsmuster solch einer Spuckschutzscheibe, erzählte anderen von seiner Idee - und die wollten dann auch Spuckschutzscheiben haben und bestellten sie bei ihm.

Sparkassen und Apotheken, Logopäden und Kinderärzte, Gemeindeverwaltungen und der ADAC hätten Scheiben bei ihm bestellt, sagt Hudler. Einige habe er vorproduziert, seine Mitarbeiter fertigen aber auch nach Maß. Das Besondere: Die Scheiben sind ganz aus Glas, haben unten eine Öffnung, durch die man Papiere reichen kann, und sie stehen auf einem Glasfuß. So sind sie einfach aufzustellen und wegzuräumen. "Glas ist hygienischer und stabiler als es Plexiglasscheiben sind", sagt Hudler. "Und unser Spuckschutz ist komplett transparent. Das stört keinen, das ist für beide Seiten angenehm."

Natürlich können die Spuckschutzscheiben nicht all die vielen Aufträge ersetzen, die weggefallen sind. Und auch in Hans Hudlers Firma hat sich einiges geändert. Die Mitarbeiter, die zur Risikogruppe gehören, sind jetzt zu Hause. Für alle anderen gelten nun neue Regeln: Höchstens zwei Mitarbeiter fahren in einem Auto, es gibt Einweghandschuhe, Desinfektionsmittel und Mundschutz. Und an den jeweiligen Fertigungsschritten, beim Zuschnitt zum Beispiel oder in der Schleiferei, arbeiten jetzt nicht mehr zwei Kollegen, sondern einer allein. Pausen sollen die Mitarbeiter abwechselnd machen, "zwanzig Leute auf einem Haufen, das geht nicht mehr", sagt Hans Hudler. Aber, so habe ihm das ein Viehhändler vor vielen Jahren mal erzählt: Wenn das eine nicht mehr geht, dann muss man schauen, dass was anderes geht. "Ich liebe den Handwerkerberuf", sagt Hudler. "Du wirst gebraucht, die Leute freuen sich über das, was du machst." Und im Moment freuen sie sich über seine Spuckschutzscheiben.

Wer im medizinischen Bereich arbeitet und kostenlose Schutzschilder bestellen möchte, wendet sich an den Verein Heimatstern: info@heimatstern.org oder 0178/ 7 21 52 10. Wer das Projekt finanziell unterstützen möchte, kann das auf der Internetseite www.betterplace.org/de/projects/78624-corona-schutz-schild-fur-helfer tun. Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft hat eine Plattform eingerichtet, auf der man nach Anbietern von Schutzprodukten suchen kann: www.plattform-corona-schutzprodukte.de

© SZ vom 04.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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