Kritik:Großes Sakralwerk

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Der Chor des Bayerischen Rundfunks mit Maximilian Steinbergs "Passionswoche" im Prinzregententheater

Von Klaus Kalchschmid

Ein Passionskonzert zwei Tage vor Rosenmontag? Was auf den ersten Blick etwas befremdlich erschien, ergab kurz vor Ende des Konzerts mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks im Prinzregententheater angesichts dieses auf Kirchenslawisch gesungenen Satzes schlagartig Sinn: "Steh auf, o Gott, und richte die Erde, denn alle Nationen sind dein Erbe." Vor exakt 100 Jahren von Maximilian Steinberg, der als Jude 1883 in Vilnius geboren wurde und 1946 starb, in seiner "Passionswoche" komponiert, glaubt man eine Beschwörung von heute darin zu hören.

Alte russische Kirchengesänge liegen den elf Teilen der "Passionswoche" zugrunde, die seinerzeit nicht aufgeführt werden konnte, weil just nach Vollendung des großen Zyklus für gemischten Chor a cappella im November 1923 in der Sowjetunion Geistliche Musik verboten wurde. Immerhin wurde "Strastnaya sedmitsa" 1927 in Frankreich und Deutschland gedruckt, doch die Uraufführung fand erst 2014 statt.

Der Chor des Bayerischen Rundfunks unter Leitung von Julia Selina Blank erzeugte samt seiner exzellenten Chorsolisten mit fortschreitendem Abend einen immer größeren Sog und ließ vergessen, dass man nicht in einer orthodoxen Kirche, sondern im Konzertsaal saß.

Als suggestiv und schlüssig erwies sich die Idee, die sechs Teile von Galina Grigorjeva "Vespers", komponiert in englischer Sprache, zu interpolieren. Die 1962 auf der Krim geborene, heute in Estland lebende Komponistin schrieb 2017 Chorsätze, die nicht so nah am byzantinischen Ritus, aber doch von ihm inspiriert sind. Der Abstand von fast 100 Jahren war selten zu hören, einzig vielleicht im abschließenden, ekstatisch tänzerischen "Rejoice Mary - Gegrüßet seist Du Maria voll der Gnaden". Das war eindeutig Musik von heute, die sich mit ihrer freudigen Glaubensgewissheit am Ende mit dem warmen, von Cherubim und Seraphim angestimmten "Alleluja" Steinbergs traf, das die schmerzerfüllte "Passionswoche" mit ein wenig Hoffnung und Zuversicht enden ließ, wenn auch noch nicht mit der Auferstehung.

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