Lesung:Wut und Weisheit

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Die tschechische Autorin Radka Denemarková liest im Literaturhaus aus ihrem Roman "Stunden aus Blei", einer Anklage gegen die Diktatur in China - und überall.

Von Jutta Czeguhn

Radka Denemarková, geboren 1968, dem Jahr des Prager Frühlings, ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Stimmen der tschechischen Literatur. (Foto: Milan Malicek)

Es ist eine Schlüsselszene in diesem Buch mit den 880 schwarzgerandeten Seiten zwischen zwei chinaroten Buchdeckeln. Nach gieriger Lektüre hakt man das ebenfalls rote Lesebändchen hier ein, auf Seite 166 von Radka Denemarkovás Roman "Stunden aus Blei", und muss eine Denkpause einlegen. Denn gerade ist etwas passiert, das unumkehrbar ist, später erfährt man, es wird einem Menschen das Leben kosten. Schauplatz ist Peking in den Zehnerjahren dieses neuen Jahrhunderts. Die Schriftstellerin - sie heißt Birgit Stadtherrová und kam schon in früheren Romanen Denemarkovás vor - kehrt zusammen mit einer chinesischen Studentin von einem Ausflug zurück zur tschechischen Botschaft. Zum Abschied am Tor überreicht sie ihrer jungen Begleitung einige Bücher. Sprengstoff, denn unter den Übersetzungen befindet sich auch Václav Havels berühmter Essay "Die Macht der Machtlosen". Die Studentin, die eigentlich darauf angesetzt ist, die tschechische Schriftstellerin zu bespitzeln, wird sich in diese Texte vertiefen, sie wird aufbegehren, wird von der eigenen, linientreuen Mutter verraten, in einem Lager landen, bei lebendigem Leib wird man ihr dort die Nieren herausreißen, sie töten. Sie wird verschwinden, als hätte es sie nie gegeben. Für die Schriftstellerin beginnen dann die vergifteten Stunden aus Blei, denn sie fühlt sich schuldig am Tod dieses Menschen.

Lebenslängliches Einreiseverbot

Sie wolle mit ihrem Buch der Studentin ein Denkmal setzen, sagt Radka Denemarková, eine der bedeutendsten Stimmen der tschechischen Gegenwartsliteratur. Denn es hat die junge Frau gegeben, Denemarková hat sie - und andere Dissidenten - kennengelernt bei ihren Aufenthalten in China. Ein Land, das ihr seit 2017 verschlossen ist; wegen ihrer Publikationen und Kontakte wurde sie von den Behörden mit einem lebenslangen Einreiseverbot belegt. Fünf Jahre lang hat Radka Denemarková an ihrem Romankoloss geschrieben, der 2019 in ihrer Heimat Buch des Jahres wurde und nun bei Hoffmann und Campe in der grandiosen deutschen Übersetzung von Eva Profousová erschienen ist. Am Donnerstag, 31. März, kommt die Schriftstellerin ins Münchner Literaturhaus.

"Stunden aus Blei" ist ein komplexes, überwältigendes, wütendes Buch, das zwischen Peking und Prag hin und her springt. Denemarková schreibt nicht nur an gegen den chinesischen Staatsterror, sie entlarvt auch den Westen, wie er vor Peking buckelt, sich am Turbokapitalismus des Landes berauscht und darüber seine eigenen Werte verliert. Unter den vielen Figuren, denen man begegnet, ist auch ein orangefarbener, 1000 Jahre alter, weiser Kater, der von sich behauptet, er habe dieses Buch geschrieben. Eine Mischung zwischen Kater Mikesch und Konfuzius.

"Stunden aus Blei", Lesung mit Radka Denemarková, Do, 31.3., 20 Uhr, Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, nur analog, Karten zu 15, ermäßigt zehn Euro unter www.literaturhaus-muenchen.de

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