Bußgeldbescheid:Kippen weggeworfen - Flüchtling soll 75 Euro Bußgeld bezahlen

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Bußgeldbescheid für einen Asylbewerber, der Zigarettenkippen auf den Boden geworfen haben soll. (Foto: Stephan Jansen/dpa)
  • Ein Flüchtling soll 75 Euro Strafe zahlen, weil er vor dem Hauptbahnhof Zigarettenkippen "achtlos auf den Boden" geworfen haben soll.
  • Vier Zivilbeamte haben die Szene unter dem Vordach beobachtet.
  • Das Kreisverwaltungsreferat hat einen Bußgeldbescheid in schönstem Beamtendeutsch aufgesetzt, gegen den der Mann aus Nigeria Einspruch eingelegt hat.

Von Bernd Kastner, München

Der Münchner Hauptbahnhof gilt als großer Ort des Willkommens, seit Anfang September Bilder von dort um die Welt gingen. Flüchtlinge werden von applaudierenden, freundlichen Menschen begrüßt. Unvergessen das Foto eines Polizisten, der einem Flüchtlingsjungen seine Beamtenmütze aufsetzt und in ein strahlendes Gesicht blickt. München im Herbst 2015.

München kann aber auch anders, siehe KVR-I/123-004949/15. Hinter diesem Aktenzeichen verbirgt sich ein Bußgeldbescheid des Kreisverwaltungsreferats, und der basiert auf einer Aktion der Münchner Polizei.

Dabei ist John M. ins Netz gegangen, Asylbewerber aus Nigeria. Die Folge ist eine Lektion in bayerischer Staatskunde und ein Crashkurs Behördendeutsch: M. habe "eine grob ungehörige Handlung vorgenommen, die geeignet war, die Allgemeinheit zu belästigen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu beeinträchtigen", heißt es in dem Bescheid. "Mit Ihrem Verhalten haben Sie die Grenze des durch die Widmung bestimmten Gemeingebrauchs überschritten (...); dies stellt eine nicht ganz unerhebliche Verschlechterung der Gemeingebrauchsmöglichkeit dar." Und weiter: "Ihr Aufenthalt erfüllte den Tatbestand einer Sondernutzung, die einer Erlaubnis bedarf, aber nicht erlaubnisfähig ist."

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Vier Beamte beobachteten den Mann

Der 25-jährige M. soll an einem Abend im Mai vor dem Haupteingang des Bahnhofs Zigarettenkippen "achtlos auf den Boden" geworfen haben. Der Rest ist pauschal formuliert: M. sei in einer Gruppe gestanden, und die habe getrunken und gepöbelt unterm "Schwammerl", dem geschwungenen Vordach. Das macht 75 Euro plus Gebühr. Die Polizei glaubt ganz genau zu wissen, was an jenem Abend geschehen ist, denn nicht weniger als vier Zivilbeamte haben die Szenerie beobachtet, mindestens eine halbe Stunde lang, von 22.15 bis 22.45 Uhr.

Sie haben zugeschaut, wie angeblich die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt wird, um dies hinterher zu ahnden. Das ist ungefähr so, als würde sich ein Autofahrer neben einem Polizisten ins Halteverbot stellen. Anstatt den Fahrer auf seinen Verstoß hinzuweisen und zum Wegfahren aufzufordern, wartet der Beamte, bis der Fahrer um die Ecke ist. Dann klemmt er den Strafzettel untern Scheibenwischer - erwischt!

Polizei will der "Steherszene" Herr werden

"Natürlich hätte man hingehen können", räumt Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins ein. Verbotenes unmittelbar zu unterbinden sei am Hauptbahnhof aber nicht Strategie der Polizei, man lege sich lieber auf die Lauer. So wolle man der "Steherszene" Herr werden. Das sind Leute, die Alkohol trinken und sich oft so verhalten, dass sich Reisende nicht willkommen fühlen. Die Steher anzusprechen habe früher nichts gebracht. Und eine Überwachungszeit von 30 Minuten sei nun mal vorgeschrieben.

Nun ist es aber so, dass John M. zwar in der Gruppe gestanden sei, aber nicht zur "Kernsteherszene" gehöre, wie da Gloria Martins einräumt: M. sei wohl nur "reingeraten". War ihm vielleicht gar nicht bewusst, dass er Ungehöriges tat? M. beteuert, weder getrunken noch geraucht zu haben.

Wäre München immer und überall so streng zu seinen Alkohol trinkenden Bürgern, was müsste das KVR dann während der Wiesn machen, wenn Betrunkene noch ganz Anderes hinterlassen? Eine KVR-Sprecherin verteidigt das Vorgehen, weil der Hauptbahnhof ein "Brennpunkt" sei und es viele Beschwerden gebe. Und die Formulierungen im Bescheid, das seien vorhandene "Textbausteine". Ob sie genügen, John M. zur Kasse zu bitten, muss nun die Justiz entscheiden. Der Flüchtling hat Einspruch eingelegt, deshalb muss das Amtsgericht die Causa Kippe verhandeln.

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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