Bühne:Der Dienstälteste

Lesezeit: 3 Min.

Willy Brummer, der 90-jährige Statist bei einer Opern-Probe (Foto: Florian Peljak)

Auch mit 90 Jahren ist Willy Brummer als Statist noch jede Spielzeit in mehreren Theater- und Opern-Produktionen zu sehen. Er hat Richard Strauss erlebt - und lässt sich von Kirill Petrenko seine Szenen erklären

Von Milena Fritzsche, Altstadt

Die Bühne ist brechend voll. Begleitet von Klaviermusik drängen sich Solisten, Chorsänger und Statisten, wirbeln durcheinander, bis die tiefe Bassstimme von Sir Morosus "Ruhe in meinem Haus" einfordert und dem bunten Treiben vorerst ein Ende setzt. Die Bayerische Staatsoper probt "Die schweigsame Frau" von Richard Strauss. Mitten drin im Geschehen: Willy Brummer. Leicht gebeugt, aber mit wachem Blick verfolgt er durch seine Hornbrille die Handlung, springt synchron mit den anderen Protagonisten auf der Bühne, tanzt im Rhythmus der Musik und artikuliert im Chor Worte. Mit seinen 90 Jahren ist Brummer nicht nur deutlich älter als seine Kollegen, er ist zudem der Dienstälteste in der Statisterie am Nationaltheater.

Auf der Bühne wirkt Brummer absolut präsent, er nimmt Raum ein. Wer ihn zum Gespräch trifft, ist überrascht, wie klein er in Wirklichkeit ist. In einem spartanischen, mit zwei Klavieren bestückten Raum im Giesinger Probengebäude hat Brummer auf einem schwarzen Ledersofa Platz genommen. Aufgeweckt beginnt er zu plaudern. Nichts will er vergessen, wenn er aus seinem Leben erzählt, das eng mit der Staatsoper verwoben ist: Er hat Richard Strauss im Prinzregententheater erlebt, als der, wenige Jahre vor seinem Tod, das Vorspiel zum dritten Akt des "Rosenkavaliers" dirigierte, und er saß im Zuschauerraum, als das Cuvilliés-Theater mit der "Hochzeit des Figaro" 1958 wieder seine Pforten öffnete.

Als Schüler hört er den "Freischütz" im Musikunterricht. "Meine Liebe zur Musik war entfacht", erinnert sich Brummer. Nach dem Krieg will er Musik studieren, doch die Eltern bestehen auf etwas Solidem. So verschlägt es den jungen Mann aus Passau zur Ausbildung an ein großes Münchner Geldinstitut. An den Litfaßsäulen in der Stadt verschlingt er indessen Spielpläne und verbringt viele freie Stunden im Theater. "Seit 1947", sagt Brummer und hebt den Zeigefinger, "bin ich Besucher der Staatsoper" - oft sogar mehrmals in der Woche.

Buntes Treiben auf der Bühne: In der Inszenierung von „Die schweigsame Frau“ am Nationaltheater hat Statist Willy Brummer in Maske und Kostüm (ganz rechts) einen seiner zahlreichen Auftritte. (Foto: Wilfried Hösl/oh)

Mit 63 Jahren geht er, inzwischen in seiner Bank zum Abteilungsleiter aufgestiegen, in Rente. Die Kollegen verabschieden den Musikfreund mit dem Triumphmarsch aus Verdis "Aida". Nun hat der Pensionär viel Zeit - Zeit, die er seiner Leidenschaft widmen kann. "Schon lange war es mein Traum, einmal auf der Bühne eine Opernaufführung mitzuerleben." Er bewirbt sich als Statist und wird genommen, nicht nur einmal. Die Regisseure an der Staatsoper besetzen ihn gerne. Brummer ist in jeder Spielzeit in mehreren Produktionen zu sehen, erlebt buchstäblich hautnah die Arien von Stars wie Jonas Kaufmann. Wenn er selbst keinen Auftritt hat, steht er auf der Seitenbühne und lauscht der Musik.

Seit 70 Jahren kennt Willy Brummer das Opernhaus. Er schwärmt von der Sängerin Erika Köth, von den Dirigenten Hans Knappertsbusch oder Joseph Keilberth, die er alle erlebt hat. Doch den alten Zeiten trauert er nicht nach. Über die Jahre betrachtet sei die Oper nie besser gewesen als jetzt, unter der Leitung Kirill Petrenkos. Den hat Brummer erst am Tag zuvor getroffen, bei den Proben für Puccinis "Il Trittico". In der Inszenierung leiert Brummer geräuschlos eine Drehorgel. Damit Brummer seine Bewegungen beim Drehorgelspiel auf die Melodie des Orchesters abstimmen kann, bekommt er die Partitur erläutert - von Petrenko. Dass sich der Chefdirigent Zeit nimmt für ihn, den Statisten, ist selbst für den langjährigen Opern-Intimus Brummer "außergewöhnlich". Bei der bloßen Erinnerung daran verspüre er Gänsehaut.

Die Arbeit als Statist bedeutet in Willy Brummers Fall Lebensinhalt, Hobby und Fitnessprogramm zugleich: Direkt vor einer Premiere sind nicht selten vier Wochen lang täglich Proben angesetzt. Er verliere in dieser Zeit rund ein Kilogramm an Gewicht, erzählt Brummer schmunzelnd. "Aber keine Sorge, das habe ich ganz schnell wieder."

Seinen runden Geburtstag vor drei Wochen hat Brummer in der Kantine der Staatsoper gefeiert. "Dass ich heute mit 90 Jahren so fit bin, verdanke ich dem Theater." Nur einmal, als seine Frau an Demenz erkrankte, wurde es Willy Brummerschwer, seinen häuslichen Alltag und die Bühne zu vereinbaren. Besorgt und von einem schlechten Gewissen geplagt, eilte er abends von den Aufführungen nach Hause. "Meine Frau teilte die Begeisterung zur Musik." Vor drei Jahren ist sie gestorben.

Tanzt und singt wie alle im Ensemble: Willy Brummer im Proberaum der Staatsoper bei der Arbeit. (Foto: Florian Peljak)

Sich zur Ruhe setzen, den ganzen Tag zu Hause sein und Kreuzworträtsel lösen, nein, das käme für Brummer nicht in Frage. Er schüttelt sich regelrecht, schon bei dem Gedanken daran. Zeit nimmt er sich allenfalls noch für seinen Sohn, die beiden Enkel und seinen Garten in Planegg. Die Probe zur "Schweigsamen Frau" verlässt Brummer schon nach eineinhalb Stunden. Er müsse sich sputen: Im Theater am Gärtnerplatz wird er - ebenfalls als Statist - zur Generalprobe erwartet, und vorher muss er noch eine halbe Stunde in die Maske. Die Bretter, die die Welt bedeuten - sie füllen Willy Brummers Leben aus.

"Die schweigsame Frau" ist zu sehen am Mittwoch und Samstag, 15. und 18. November, sowie am Freitag, 24. November, im Nationaltheater, Max-Joseph-Platz 2. Karten unter www.staatsoper.de.

© SZ vom 15.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: