Cyber-Kriminalität:"Ich hatte das Gefühl, mein Herz ist herausgerissen"

Lesezeit: 2 min

Betrüger gaukeln im Netz anderen die große Liebe vor, um an deren Geld zu kommen. (Foto: Silas Stein/dpa)

Liebe, Lust, Betrug: Heiratsschwindel beschäftigt zunehmend die Ermittler. Allein im Vorjahr registrierte die Polizei in Bayern 550 Fälle.

Von Anita Naujokat, München

Es ist eine moderne Form des Heiratsschwindels: Betrüger gaukeln im Netz anderen die große Liebe vor, um an deren Geld zu kommen. Meist geben sie sich als gebildete Menschen im Ausland aus, bauen über Wochen, Monate oder Jahre oft mit gefälschten oder gestohlenen Profilbildern eine emotionale Beziehung zu ihren Opfern auf und benötigen dann plötzlich Geld für ein Flugticket, die Operation des eigenen Kindes, einen Unfall oder - wie im Fall einer Münchnerin - das Auslösen eines großen Erbes. Um 211 000 Euro hat ein "John Alfred", ein angeblicher Rechtsanwalt und Pastor, die Mittvierzigern in drei Jahren gebracht.

Die Frau möchte anonym bleiben, auch aus Selbstschutz. Sie hatte mitgeholfen, den mutmaßlichen Täter zu ermitteln, der seit Oktober in Untersuchungshaft in Nigeria sitzt. "Es war sehr gefährlich und ist nicht zum Nachahmen empfohlen", sagt sie. Indirekt hat ihre Initiative auch dazu beigetragen, eine Grundlage für den künftigen Austausch zwischen Bayerns Justiz und den nigerianischen Behörden anzukurbeln.

Das Phänomen "Love Scamming" steht in der Bekämpfung der Cyber-Kriminalität in Bayern ganz oben auf der Prioritätenliste. Es sei eine "besonders perfide und besonders belastende Form des Betrugs", der eine emotionale Abhängigkeit schaffe, um die Opfer finanziell auszunehmen, sagte Justizminister Georg Eisenreich (CSU) am Freitag bei einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft München I mit Thomas Goger, dem stellvertretenden Leiter der Zentralstelle Cybercrime, die in Bamberg sitzt. Nicht nur der materielle Schaden für die Opfer ist groß, sondern auch die persönlichen Folgen, wie die Geschichte der Münchnerin zeigt. "Ich hatte das Gefühl, mein Herz ist herausgerissen." Nachdem der Schwindel aufgeflogen war, übrigens mithilfe eines nigerianischen Freundes, der an der Stimme des angeblichen Ghanaers sofort erkannte, dass dieser Nigerianer sei, habe sie erst einmal ins Krankenhaus gemusst.

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Die Täter seien oft nur schwer zu ermitteln

Allein im vergangenen Jahr hat die Polizei in Bayern Eisenreich zufolge bis Ende November 550 Anzeigen mit einem Schaden von rund neun Millionen Euro registriert. Und die Dunkelziffer dürfte um einiges höher sein, da nicht alle Betrogenen aus einem falschen Schamgefühl heraus zur Polizei gingen.

Ob die Täter allein handeln oder einem Netzwerk angehören, sei schwer zu sagen, sagte Oberstaatsanwalt Goger von der Cybercrime-Stelle. Deren Spezialisten werden eingeschaltet, wenn es um technisch komplizierte oder komplexe Fälle geht. Die Täter seien oft nur schwer zu ermitteln, auch weil es mit manchen Ländern kaum rechtliche Abkommen gebe. Man könne auch nicht von klassischer Organisierter Kriminalität sprechen. Die Täter agierten oft aus Internet-Cafés heraus. Für sie sei es ein "legitimer Broterwerb". Nicht selten hätten sie mehrere Opfer gleichzeitig, und wüssten genau, bei wem sie welche Knöpfe drücken müssten. Auch wenn die Erfolgsquote eher gering ist, gelang es der Polizei im Mai, über eine fingierte Geldübergabe am Hauptbahnhof in Nürnberg drei Verdächtige festzunehmen. Sie sollen eine 48-Jährige aus dem Landkreis Deggendorf und zwei andere Frauen um fast 120 000 Euro gebracht haben.

Eisenreich und Goger appellierten an alle Betroffenen, kritisch zu bleiben, sich auf keine Geldforderungen oder die Herausgabe von Bank- und Kreditkartendaten einzulassen, mit anderen darüber zu reden und frühzeitig Anzeige zu erstatten. "Am besten, wenn der Account im Netz noch offen ist", sagte Goger.

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