Autoindustrie in München:Die Schlacht um BMW

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Ein BMW 600, hier mit Wohnwagen am Gotthardpass, war wie die Isetta eine preisgünstige Mischung aus Motorrad und Auto. (Foto: oh)
  • Der kriselnde Auto- und Motorradbauer BMW stand kurz vor dem Verkauf an den Stuttgarter Konkurrenten Daimler - das war vor 60 Jahren.
  • Danach beginnt eine beispiellose Erfolgsgeschichte - auch für München.
  • Heute muss der Konzern die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft stellen.

Von Thomas Fromm

Die Zukunft der Münchner Autoindustrie beginnt 100 Kilometer nordöstlich von München. Dingolfing, im Juni 2015: Ein paar Hundert BMW-Arbeiter sind ins Werk gekommen, und was hier gleich passiert, wird per Kameras in die Werkskantinen des Autobauers übertragen, damit es Tausende sehen können: die Geburt eines neuen Modells.

Wenn ein neues Auto vom Band läuft, ist das immer etwas, was Autohersteller feiern. Diesmal aber wird nicht irgendein neues Modell gefeiert: Gezeigt wird der neue 7er, das Flaggschiff des Konzerns, eine Luxus-Limousine, die die Münchner gegen die S-Klasse von Mercedes setzen. Ein Hightech-Auto mit leichten, hochmodernen Carbonteilen, Laserlicht, Gesten-Steuerung und 265 PS. Es ist ein Auto, das für die Zukunft von BMW stehen soll. So wie der Mann im dunklen Anzug, der extra aus München gekommen ist und an diesem Tag erst seit ein paar Wochen an der Spitze dieses Unternehmens steht.

Harald Krüger, 49 Jahre alt, schüttelt Hände, lächelt, und sagt: "Dies ist die innovativste Luxuslimousine der Welt." Zwei Botschaften hat der Konzern an diesem Tag für seine Arbeiter. Erstens: Wir haben die richtigen Autos für die Zukunft. Und zweitens: Wir haben den richtigen Chef.

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Primus bei den Oberklasse-Autos

BMW im Sommer 2015, das ist ein Konzern mit mehr als 80 Milliarden Euro Umsatz, von denen unter dem Strich fast sechs Milliarden als Gewinn bleiben. BMW im Sommer 2015, das ist nicht Volkswagen, Toyota oder General Motors, das ist keiner von den ganz Großen, die zehn Millionen Autos im Jahr verkaufen. Und, ja, auch das: BMW ist nicht München, so wie Wolfsburg, die Autostadt, VW ist. München ist nicht nur BMW. Aber: BMW hatte 2014 zum ersten Mal in seiner fast 100-jährigen Firmengeschichte mehr als zwei Millionen Fahrzeuge verkauft. Zumindest unter den kleineren Herstellern teurer Oberklasse-Autos ist BMW seit Jahren schon der größte.

Das war nicht immer so. Erst vor ein paar Jahren hatte BMW die Stuttgarter mit dem Stern an der Spitze abgelöst. Und es gab Zeiten, da hätte kaum jemand auf die Zukunft des Konzerns gewettet. Da galt das Unternehmen, das 1916 als "Bayerische Flugzeug-Werke AG" auf dem Münchner Oberwiesenfeld mit dem Bau von Flugmotoren begonnen hatte, nach dem Ersten Weltkrieg erst Motorräder, und dann, von 1928 an, auch Automobile fertigte, da galt dieses Unternehmen als erledigt.

Mitte der Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts steht der Konzern auf der Kippe. Millionenverluste zehren am Kapital, dem Konzern fehlen die richtigen Modelle. Die Isetta kommt auf den Markt, sie kostet etwas mehr als 2000 Mark. Die "Knutschkugel" verkauft sich gut, aber das Geld reicht nicht, um den Aderlass zu stoppen. BMW verkauft nun zwar eine kleine Isetta, ansonsten aber nur große Limousinen, und hat deshalb ein Problem: Dem Autobauer fehlt die Mitte: das Brot- und Butter-Geschäft für breite Käuferschichten.

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Im Hintergrund laufen sie sich deshalb schon warm, die Interessenten. Daimler-Benz, die Großaktionäre und Groß-Strippenzieher der Deutschland AG. Männer wie Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs. Ihr Ziel: den klammen oberbayerischen Hersteller den Stuttgartern zuzuschlagen. BMW als Münchner Daimler-Dependance, so hatten sie sich das gedacht. Nicht nur für BMW wäre dann vieles anders gelaufen, sondern auch für München.

Doch dann kommt der Tag der Münchner Hauptversammlung, der in die Wirtschaftsgeschichte eingeht: der 9. Dezember 1959. Den Aktionären wird ein Sanierungsplan präsentiert - die Daimler-Lösung inklusive. Orchestriert wird das Treffen in der Kongresshalle an der Theresienwiese von der Deutschen Bank, damals Hauptanteilseigner. Hans Feith ist Deutsche-Bank-Vorstand und BMW-Chefkontrolleur, und er trommelt für seine Lösung.

"Seit der Währungsreform befindet sich praktisch die BMW AG in der Verlustlinie", sagt Feith. BMW habe "am Aufschwung der Automobilindustrie keinen Anteil". Die Aktionäre sind entsetzt. Am Ende werden sie den Plan der Großen vereiteln - mit Hilfe des Industriellen Herbert Quandt. Das über 30 Seiten lange Hauptversammlungsprotokoll zeigt eindrucksvoll: Die Unabhängigkeit von BMW stand auf Messers Schneide. Rebellion, Unterbrechungen, Zwischenrufe, stundenlange Debatten. Der feindliche Übernahmeplan scheitert, und am Tag darauf schreibt die Süddeutsche Zeitung vom "Zehn-Stunden-Rennen um BMW". Am Ende saniert der Bad Homburger Quandt den Konzern - mit Unterstützung der bayerischen Landesregierung.

Der BMW 1500 bringt die Wende

Dann, 1961, kommt der neue Mittelklasse-Wagen BMW 1500. Es ist der Neustart - und der Moment eines für die damalige Zeit ungewöhnlichen Schulterschlusses: Auf der Suche nach Alliierten wendet sich Quandt an den Betriebsratsvorsitzenden Kurt Golda. "Schlosser-Kurti", wie man diesen nennt, wird die Betriebsrats-Stimme im Konzern, die gehört werden muss. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

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Es folgen Jahrzehnte des Wachstums. Der Konzern wird größer, das Münchner Werk stößt an Grenzen. BMW expandiert zunächst nach Niederbayern: Von den Sechzigerjahren an entsteht in Dingolfing das bis dato weltweit größte BMW-Werk. Weitere Niederlassungen folgen, nicht nur in Deutschland. 1972 eröffnet der Konzern in Südafrika seinen ersten Auslandsstandort. In München-Milbertshofen baut BMW zu Beginn der Siebzigerjahre einen neuen Verwaltungssitz, seinen "Vierzylinder", der zu einem Wahrzeichen der Stadt wird.

Und in der Gegenwart? Allein 2015 will BMW allein in Deutschland mehr als 5000 neue Arbeitskräfte einstellen, die Zahl der Beschäftigten steigt damit weltweit auf mehr als 120 000. Gleichzeitig verschieben sich die Gewichte: Das Werk im US-amerikanischen Spartanburg, wo sportliche Geländewagen der X-Serie gebaut werden, wird ausgebaut zum größten BMW-Werk, größer als Dingolfing und München. Aus den Bayerischen Motorenwerken werden bald auch noch so etwas wie die Amerikanischen Motorenwerke. "Die Produktion folgt den Märkten", das ist so ein Satz, den Manager gerne benutzen, um solche Verschiebungen zu erklären. Die USA sind für BMW einer der wichtigsten Märkte.

Wie deutsch, wie bayerisch wird BMW in Zukunft sein? Das ist die eine Frage. Es ist aber nicht die einzige. In den Fünfzigerjahren ging es darum, welche Modelle der Konzern braucht. Heute ist noch wichtiger: Welche Technologien braucht der Konzern? Der Vorstandsvorsitzende Harald Krüger muss die von seinem Vorgänger Norbert Reithofer eingeleitete Elektroauto-Strategie weiterführen. Die Modelle i 3 und i 8 sind auf dem Markt, jetzt soll das nächste Modell der Serie kommen, es könnte "i 5" heißen. BMW muss Milliarden investieren in eine Technologie, die sich bislang nur in kleinen Mengen verkaufen lässt - und sich auf immer strengere Abgasvorschriften aus der Politik einstellen.

Es ist ein Dilemma: BMW muss nachhaltiger werden - aber das große Geld wird mit den großen Autos verdient. Nur: Sind die auf Dauer zeitgemäß? Und wie hält es der Konzern mit den neuen Rivalen aus der IT-Industrie? Bei den alten Wettbewerbern Audi und Daimler wusste man, woran man war. Mit Apple und Google, die in das Geschäft mit vernetzten, selbstfahrenden Autos drängen, weiß man das nicht so genau. Wird Krüger der sein, der mit dem Tabu bricht - und mit einem Konzern wie Apple gemeinsame Sache macht?

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BMW ist ein verschwiegenes Unternehmen, Entscheidungen werden langfristig getroffen und diskret verhandelt. Ein Abenteuer wie das um die Jahrtausendwende, als man den maroden britischen Autobauer Rover kaufte und dabei am Ende Milliarden verlor, will man in München nicht noch einmal erleben. Ein bisschen war es damals so wie in den Fünfzigerjahren: Nicht wenige in der Branche dachten, dies sei das Ende des weiß-blauen Konzerns.

Doch sie unterschätzten die Konzernkultur. Seit jenen turbulenten Tagen Ende der Fünfzigerjahre ist BMW auch und vor allem eines: ein Familienunternehmen. Anders als der Rivale Daimler, dessen Aktien breit gestreut sind und in den Händen von Investmentfonds oder Großinvestoren wie Kuwait liegen, sind die Eigentumsverhältnisse bei BMW klar: Seit dem Einstieg von Herbert Quandt besitzt die Familie mit 46,7 Prozent fast die Hälfte der Anteile. Sie kontrolliert den Konzern leise, fast bescheiden - und stets aus dem Hintergrund heraus. Diese Kultur haben die Quandts dem ganzen Konzern und seinen Topmanagern verordnet.

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Wie stark sie ist, zeigte sich erst wieder im August 2015, als die Quandt-Witwe Johanna Quandt im Alter von 89 Jahren starb. Da wurde bekannt, dass die BMW-Großaktionärin ihre Aktien im Laufe der vergangenen Jahre längst an ihre Kinder Stefan Quandt und Susanne Klatten weitergereicht hatte - nicht einmal Konzernmanager waren eingeweiht. Der Wert der Familienanteile an BMW wird heute auf rund 30 Milliarden Euro geschätzt - 15 Jahre nach dem großen Rover-Debakel, und fast 60 Jahre nach der Schlacht um München.

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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