Ausstellung:Menschliches Uhrwerk

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Ein vergnüglicher Zeitvertreib von Maarten Baas in der Neuen Sammlung

Von Evelyn Vogel, München

Es ist ein lustvolles Spiel mit dem Empfinden von Zeit. Wenn viel passiert, meint man, dass die Zeit schneller vergeht. Wenn nichts passiert, scheint sie still zu stehen. Wer also auf eine Uhr starrt, auf der 59 Sekunden nichts geschieht und sich dann innerhalb einer Sekunde die Veränderung vollzieht, für den scheint sich die Zeit zu dehnen. Wer jedoch innerhalb einer Minute zusehen kann, wie die Anzeige stückchenweise entsteht und vergeht, für den wirken die 60 Sekunden beinahe actiongeladen. Wobei die "Action" in dieser Ausstellung zugegebenermaßen ein recht meditatives Tempo vorlegt.

Wahrscheinlich könnte man anhand dieser Ausstellung eine vielseitige philosophische Abhandlung über die Zeit schreiben. Das wäre aber - mit Verlaub - weit weniger lustig, als in die Pinakothek der Moderne zu gehen und sich dort die von der Neuen Sammlung präsentierte Ausstellung "New Times" von Maarten Baas anzusehen. Doch darüber hinaus kann man fragen: Geht es hier noch um die Formgebung eines Produkts? Ist das also Design? Oder ist es eine freie künstlerische Auseinandersetzung mit der Zeit? Jedenfalls verbindet der niederländische Designer mit seinen performativen Uhren Mensch und Maschine, Realität und Fiktion und bewegt sich an der Grenze zwischen Kunst und Design.

Wer hierher komm, kann in der Zeit verweilen - ohne dafür in den Uhren gefangen zu sein. Elf Arbeiten aus der Serie "Real Time" zeigt das Designmuseum in dieser Soloausstellung, die nach den Corona-Erfahrungen unter dem Titel "New Time" firmiert. Und von neuen Zeiten und dem Gehen und Vergehen in Echtzeit handelt sie. Alle gezeigten Uhren "ticken" nicht nur in Echtzeit, sie "gehen" auch synchron. Doch statt eines maschinellen Taktgebers sind hier Menschen am Werk, die die Zeiger im Minutentakt neu kehren, schieben, legen oder zeichnen.

In "Sweepers Clock" sind es Müllkehrer. Diese erste Arbeit von 2009 entstand noch im öffentlichen Raum, so dass man bei ihr aufgrund der Schattenwürfe der Zeit-Arbeiter Brüche im Ablauf entdecken kann. Die späteren Arbeiten wie die Tischuhr "Confetti Clock" oder die Wanduhr "Analog Digital Clock" entstanden im Studio, so dass die Illusion einer Zwölf-Stunden-Uhr perfekt ist. Dafür hat Maarten Baas Darsteller verpflichtet, in zwei Uhren ist er selbst am Werk. Machbar waren die Zwölf-Stunden-Aufnahmen nur mit Hilfe von Schnitten, indem die Zeit-Arbeiter hin und wieder über die Ränder aus dem Bild verschwinden und sekundengenau wieder auftauchen. Baas selbst kehrt zwischen den Zeitsprüngen von "Grandfather Clock - Self-portrait" essend, trinkend oder mit einer Flasche Champagner feiernd zurück.

Lebensgroß sind die fünf Standuhren, englisch Grandfather Clocks genannt, und die etwas kleinere, die entsprechend Grandmother Clock heißt (Baas lässt hier tatsächlich augenzwinkernd eine Frau die Zeiger zeichnen). Die Uhren aus Holz, Messing und Corten-Stahl wiegen 150 bis 350 Kilogramm und schon mancher Betrachter der Baas'schen Objekte, die zum Teil im öffentlichen Raum stehen, hat geglaubt, dass tatsächlich Menschen im Innern der Maschinen Dienst tun - und sich bei Maas über die unmenschliche Arbeit beschwert.

Das größte Trumm in dieser Schau ist die Rauminstallation in der Mitte: Bei der "Paddington Clock" führt eine Leiter zu einer Tür an der Rückseite des Uhrgehäuses, als ob ein Türmer die Uhr besteigen sollte. Auf der anderen Seite sieht man Maarten Baas in historischem Gewand die Zeiger auf das große Ziffernblatt malend. Die Arbeit ist die jüngste aus der "Real Time"-Serie und wird von Herbst an den Wartenden in der Londoner Paddington Station ganz real die Zeit vertreiben.

Maarten Baas - New Times, Die Neue Sammlung - The Design Museum in der Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, bis 3. Okt., Zeitfensterticket über www.muenchenticket.de

© SZ vom 17.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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