Ausstellung:Die Worte der Frau

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Astrid Klein: Ohne Titel (daß vollkommene Liebe die Angst austreibe) 1979, Bayerische Staatsgemäldesammlungen. (Foto: Sprüth Magers, Astrid Klein)

Arbeiten von Astrid Klein in der Pinakothek der Moderne

Von Susanne Hermanski

Astrid Klein trägt die Lippen knallend rot. Einen Scharfschützen hieß die Künstlerin einen gigantischen Spiegel perforieren - mit 200 Schüssen. Auf eine Weise, die sein silbernes Glas nicht etwa in Tausende Stücke bersten ließ. Sie durchschlugen ihn mit scharf geränderten Löchern und eröffneten so der Malerin die Möglichkeit, die haarfeinen Risse zwischen ihnen, zu einem eigenartig gezähmten Netz zu verbinden. "Die Sprünge habe ich nachgearbeitet", sagt Astrid Klein mit leicht schnarrender Stimme über ihre Technik, "mit dem Hammer gezeichnet". Und da hängt er nun, dieser große Reflex, viele Meter im Quadrat, in seiner ganzen brüchigen Pracht, über dem Treppenabsatz der großen Schaustiege in der Pinakothek der Moderne. Diese Arbeit stammt noch aus dem vergangenen Jahrtausend, genauer aus dem Jahr 1993, und dennoch lässt sie sich mit der aktuellen Lage direkt in Verbindung bringen.

Die Kuratoren verweisen darauf, wie mit ihr "die gewohnte Wahrnehmung zerschossen und die glatte Oberfläche des Scheins aufgebrochen" werde, und wie durch sie "Bruchstücke einer neuen Realität greifbar" würden. Kuratiert hat die Schau Corinna Thierolf, die die Pinakotheken bald verlassen wird. Möglich geworden ist die Ausstellung Dank der Michael & Eleonore Stoffel Stiftung, die 2019 fünf Werke von Astrid Klein für die Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne erworben hat.

Astrid Klein trägt die Lippen keinesfalls deswegen knallend rot, weil sie etwa weibliche Verfügbarkeit signalisieren will. Im Gegenteil, sie legt roten Lippenstift auf, weil es den Blick auf das lenkt, was sie zu sagen hat. Etwa, dass sie Männer schon immer schätzte - ihrer Schönheit wegen. Aber auch all die Worte, die sie nun als Schrift in ihre Bilder einarbeitet. Denn eigentlich, so sagt sie, wollte sie ursprünglich Schriftstellerin werden. Klein gilt heute als eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Nachkriegs- und Gegenwartskunst. Und in der Tat ist die 1951 Geborene ein Kraftwerk. Ihre Arbeiten sind auf subtile Weise feministisch und immer politisch. Bekannt sind ihre Fotoarbeiten, für die sie überwiegend Motive aus Zeitungen, Zeitschriften und Werbeplakaten verwendet. Zu deren Lieblingsmaterie zählen die Frauen. Deshalb gerät die Ausstellung in der Pinakothek auch zu einem Wiedersehen mit Ikonen wie Romy Schneider und Brigitte Bardot. Doch während etwa Andy Warhol deren unsterbliche Konterfeis schlicht in poppige Farben tunkt, beschriftet Astrid Klein deren Abbilder im wahrsten Sinne.

Sie setzt Texte dazu wie in einer Arbeit aus dem Jahr 1980, in der sie mehrere Filmstills collagiert. Darauf Brigitte Bardot, der eine männliche Hand der nackten Bardot das Badetuch entreißt. Der Untertitel des ansonsten namenlosen Werks: "Ich weiß keine bessere Welt". Stereotype Machtverhältnisse interessieren Astrid Klein, die selbst aus eine Familie der starken Frauen stammt, wie sie sagt. Schon ihre polnische Großmutter hat "den Feind zum Mann" genommen - einen deutschen Offizier, der mit dem Fallschirm auf ihrem Acker landete. In Kleins Werk, wie in dem aller Künstler, spielt die eigene Biografie eine wichtige Rolle, auch wenn die Ausstellungsmacher anderes betonen: Astrid Kleins "wahrnehmungspsychologische Hinterfragung tradierter Bildkultur" etwa.

Was damit gemeint ist, wird in jenem Werk besonders deutlich, das der Ausstellung den Titel leiht: "Dass vollkommene Liebe die Angst austreibe". Das zugrunde liegende Schwarz-Weiß-Foto bildet eine Szene physischer Nähe zwischen Mann und Frau ab, in der sich Bedrängnis und Aneignung des weiblichen Körpers offenbaren. Der übers Bild gelegte Schriftbalken "Dass vollkommene Liebe . . ." liest sich wie der bevormundende Gedanke des Protagonisten. Und Astrid Klein sagt dazu mit ihren knallroten Lippen: "Warum denkt eigentlich nie einer, dass es auch die Frau sein könnte, die da spricht?"

Astrid Klein. Dass vollkommene Liebe die Angst austreibe , bis 17. Januar 2021, Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, tägl. a. montags 10 - 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr; www.pinakothek-der-moderne.de

© SZ vom 24.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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