Ausspekuliert-Demo:"Die größte Mieterdemo, die München je gesehen hat"

Mindestens 10 000 Menschen gehen in München für bezahlbaren Wohnraum auf die Straße. Dabei zeigt sich: die Angst vor Verdrängung sitzt tief.

Reportage von Elisa Britzelmeier

Selbst weit vom Demozug entfernt sind die Inhalte längst da. Man kommt auf dem Weg zu #ausspekuliert fast zwangsläufig an Baustellen vorbei, oft sind es Baustellen für Luxusobjekte. Wer auf der Straße nichts sieht, dem reicht ein Blick auf sein Konto. Der bekommt ein Grummeln im Bauch, wenn er an eine mögliche Mieterhöhung denkt, oder an eine Kündigung. Das Thema Wohnen beherrscht die Gespräche der Münchner wie wenig anderes.

Tausende von ihnen bewegt es so sehr, dass sie auf die Straße gehen. Sie kommen am frühen Nachmittag zum Mariahilfplatz, ziehen durchs Gärtnerplatzviertel, vorbei an der Maximilianstraße, über die Ludwigstraße bis zum Siegestor. Bis zum Abend werden es immer mehr werden, die Polizei spricht von 8000 Demonstrierenden in der Spitze im Zug und 10 000 bei der Abschlusskundgebung, die Veranstalter von 11 000 und von der "größten Mieterdemo, die München je gesehen hat." Dabei lässt sich spüren, dass Wohnen längst nicht nur für Menschen mit niedrigen Einkommen zum Problem geworden ist. Sondern auch für die mit mittleren.

Richard und Julia, Anfang und Mitte Dreißig, sind vergangenes Jahr aus der Stadt rausgezogen. Nach Eching, wo es auch schwierig ist mit der Wohnungssuche, aber ein bisschen besser als in der Innenstadt, wie Richard sagt. Er steckt in einem Umzugskarton. Löcher gibt es für den Kopf und die Arme links und rechts, der Rest seines Oberkörpers verschwindet. "Keller" steht in Eddingschrift oben drauf, die Kiste war tatsächlich übrig vom Umzug. "Mehr Wohnungen, weniger Grenzen" hat er auf die Seite geschrieben. Den Zusammenhang sieht Richard ganz klar: In der Politik werde derzeit der Schwerpunkt falsch gesetzt. "Es geht dauernd um Flüchtlingspolitik, aber Wohnen ist das viel brennendere Thema."

Es ist bestes Demowetter, trocken, nicht zu heiß, und es wird eine friedliche Demonstration, die sich sehr lang zieht. Münchner aller Altersgruppen sind gekommen, Studenten, Senioren. Väter haben sich Babys umgeschnallt, Mütter schieben Kinder auf Fahrradsitzen. Der Demozug führt mitten durch die Innenstadt. In der Maximilianstraße sitzen Menschen, die so aussehen, als könnten sie sich München durchaus noch leisten. Aber auch sie bekommen mit, dass da viele sind, denen es anders geht, die sich Sorgen machen. Zwei Passanten unterhalten sich mit Polizisten darüber, dass sogar in Regensburg die Mieten inzwischen wahnsinnig hoch sind.

Ein "Auszug der Münchner" sollte der Protest werden, eine Woche vor dem Einzug der Wiesnwirte, hatten die Organisatoren vorab angekündigt. Und so haben einige Kisten und Koffer dabei. Thomas Rogall, 57, hat seinen Koffer beklebt. "Pfiadi Bauminister Seehofer" steht da.

Vier Wochen sind es noch bis zur Landtagswahl. Dem Aufruf der Mieter, die die Idee zu #ausspekuliert hatten, haben sich mehrere Parteien angeschlossen. Um keine zu bevorzugen, wurde gelost, also geht es los mit der ödp, gefolgt von Mut, Piraten, Freien Wählern, Linken, SPD und Grünen. Die CSU ist nicht dabei. Sie ist für einige das Ziel des Protests. Was man immer wieder hört: Ärger über den Verkauf der GBW-Wohnungen im Jahr 2013.

"Wir bleiben hier. Wir lassen uns nicht vertreiben!"

Die größte Empörung gilt aber Investoren und Spekulanten. Andreas Kräftner, der in seinem in München beliebten Newsletter namens "Budenschleuder" Wohnungsangebote und -gesuche sammelt, hat Doppelkekse dabei: "Ausspekulatius". Passend ist auf einem Plakat zu lesen: "Lieber spektakuläre Spekulatius als spekulierende Spekulanten". Ähnlich formulieren es auch die Redner bei der Abschlusskundgebung vor dem Siegestor. Beatrix Zurek vom Mieterverein München, die zugleich das Referat für Bildung und Sport leitet, ruft von der Bühne herunter: "Wir brauchen Menschen, die verstehen, dass Wohnungen kein Spekulationsobjekt sind." Und: "Wir bleiben hier. Wir lassen uns nicht vertreiben!"

Bunt sollte der Protest werden, hieß es in dem Aufruf, deswegen sollten die Münchner in Berufskleidung kommen. Dem sind nur wenige gefolgt, wohl auch, weil es bei den meisten zwischen Berufs- und Privatkleidung einfach nicht zu viel Unterschied gibt. Aber als Miethaie haben sich mehrere verkleidet, das Motto findet sich auf einigen Plakaten wieder, auf einem ist von "(Miethai)dhausen" die Rede. Eine Frau ist im Dirndl unterwegs, eine hat sich ein Schild umgehängt "Erzieherin empfiehlt: Spekulanten erziehen."

#Ausspekuliert sollte auch zeigen, wie viele verschiedene Menschen in dieser Stadt leben, und wie wichtig sie dafür sind, dass sie funktioniert. Mitorganisator Roland Fischer von der Münchner SPD sagt es auf der Bühne so: "Der Reichste in dieser Stadt kann nicht leben, wenn es keine Polizisten und Rettungskräfte gibt, die sich ebenfalls hier in der Stadt eine Wohnung leisten können."

"3000 Euro Miete? Ihr habt doch 'ne Meise"

Besonders die SPD hat es nicht nur leicht mit dieser Demonstration. Kritiker machen es ihr zum Vorwurf, dass sie nun bei #ausspekuliert mitläuft. Schließlich regiert die SPD selbst seit Jahren in der Stadt und auch im Bund mit. In der Partei verweist man bei diesen Vorwürfen gerne darauf, dass die Probleme auf Landesebene ganz in CSU-Verantwortung seien. Und dass man im Bund auf zu viel Widerstand stoße. Ohne die SPD, denkt man in der SPD, hätte man in München längst Londoner Verhältnisse. Auch Grünen-Bundestagsabgeordnete Margarete Bause sagt am Rande der Demonstration: "Der Vorwurf ist auf kommunaler Ebene nicht berechtigt." Gerade was die Förderung von Genossenschaften angehe, sei München weit vorne. Aber man könne schon fragen, wieso sich die SPD in Berlin nicht früher mehr eingesetzt habe für die Belange der Mieter.

Auf der Bühne am Siegestor sprechen Vertreter mehrerer Parteien, es geht um eine Reform des Bodenrechts, um Modernisierungsumlage, Mietpreisbremse und sozialen Wohnungsbau. Es ist also weit komplexer als ein einfaches "Mieten runter!" Umrahmt wird das Ganze von einem Musikprogramm. Und von Mietern, die von ihren schlimmsten Erlebnissen erzählen, ein "Worst of Mieterstammtisch". Vor allem erzählen sie davon, wie mit plötzlichen Mietsteigerungen und Sanierungen versucht wird, sie aus ihren Wohnungen herauszudrängen.

Dass die Stadt am wenigsten Handhabe hat, weil die gesetzlichen Grundlagen fehlten, das hat Sozialreferentin Dorothee Schiwy schon am Vortag der Demonstration auf einem eigens anberufenen Pressetermin betont. Die meisten Forderungen gingen an den Bund. Sie wünscht sich vor allem bessere Möglichkeiten zur Erstellung des Mietspiegels in München. Momentan sei der eher ein "Mieterhöhungsspiegel". All die Probleme, von denen auf der Demonstration die Rede ist, nimmt man bei der Mietberatungsstelle der Stadt genauso wahr. Vor allem: eine Riesenangst. Mieter nehmen ihre Rechte in München meist schon gar nicht mehr wahr.

Selbst wenn es noch keine Mieterhöhung oder Eigenbedarfskündigung gab, haben viele Münchner schon Angst. Auf der Demo wird klar, dass diese Angst tief sitzt, auch bei denen, die konkret noch gar nicht betroffen sind. Angelika Kahl etwa, sie wohnt in der Maxvorstadt in einem älteren Haus, die Mieten sind moderat, es gehört einer alten Dame. Wenn die Vermieterin eines Tages sterben sollte, fürchtet Kahl, dann lohnt sich sanieren schon gar nicht mehr, dann wird abgerissen. Sie ist mit ihrer Mutter zur Demonstration gekommen, und mit einem befreundeten Paar aus dem Glockenbachviertel. Die beiden wohnen noch recht günstig, doch ihr Haus sei eine einzige Baustelle. "Aber wir sitzen es aus", sagt er. Es macht ihn wütend, wie sich sein Viertel verändert. Die SUVs, die Neumünchner mit ihren Eigentumswohnungen. "Eigentlich ist es fast nicht mehr schön da". Aber eine vergleichbare Wohnung würden sie nie finden. Er fühlt sich eingesperrt. "Wenn ich raus muss, dann wohl raus aus der Stadt." Am Morgen hat er darum ein Vogelhäuschen gebastelt, der Vogel guckt traurig nach drinnen, darüber steht "3000 Euro Miete? Ihr habt doch 'ne Meise".

#Ausspekuliert ist die dritte Großdemonstration innerhalb weniger Monate in der Stadt. Zuletzt gingen die Münchner unter #noPAG gegen das Polizeiaufgabengesetz und unter dem Motto #ausgehetzt auf die Straße, im Juli waren es 50 000 Menschen auf dem Königsplatz. Mehrere der Teilnehmer bei #ausspekuliert, so wie der Glockenbachbewohner, waren auf allen drei Demos. Auch wenn es nun weniger Teilnehmer waren - die Münchner Demonstrationskultur hat sich etabliert. Und es könnte so weiter gehen. Die nächste Großdemonstration ist schon für den 3. Oktober angekündigt.

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