ARD-Musikwettbewer:Zug um Zug ans Ziel

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Das Vorspiel von Rocco Rescigno beim ARD-Musikwettbewerb sticht heraus, er weiß, was er von den Stücken will. (Foto: Alescha Birkenholz)

Tagelang die selben Stücke, von immer anderen Musikern: Was die Kandidaten und die treuen Fans am ARD-Musikwettbewerb trotzdem reizt. Am Beispiel des heuer heuer größten Fachs Posaune.

Von Rita Argauer, München

Der ARD-Musikwettbewerb findet wieder statt. In voller Länge, ohne Einschränkung. Und das bedeutet hier schon etwas. Denn dieser Wettbewerb ist - vor allem in den Auftaktrunden - auch immer etwas sehr Exzessives: Sehr viele junge Musikerinnen und Musiker spielen fast alle das selbe Stück. Nacheinander weg. Über Tage hinweg. Am aller exzessivsten ist das im Jahr 2022 bei den Posaunen. 51 Zugelassene. Das Fach mit den meisten Teilnehmern. Grund genug, sich den Wettbewerb anhand der Posaune mal von Grund auf anzusehen.

Es beginnt an einem Mittwochvormittag um 10 Uhr. Die Ablaufpläne hängen aus im Foyer des BR-Funkhauses. Immer in Blocks von vier Musikern wird aufgetreten. Im Studio 2. Ob sie hier richtig sei, fragt eine Frau den Mann vom Einlasspersonal, sie wolle zur Posaune und auf der Bühne stehe ja ein Klavier. "Ja, mit Klavierbegleitung", antwortet der Herr, "Posaune allein würde ja schräg klingen". Soviel zu dem Instrument, das im diesjährigen Wettbewerb mit den Fächern Streichquartett, Klavier und Flöte sicher zu den weniger populären gehört. Und dann geht es los.

Ganz frisch sind die Ohren noch, die Jury kommt ins Studio, der Slowene Matej Štih betritt die Bühne. Pflichtstück der Posaunen ist ein Posaunenkonzert von Friedebald Gräfe aus dem 19. Jahrhundert. "Tempo di Marcia" heißt der erste Satz. Und so klingt es auch. Musikalisch gewordene Kriegsrhetorik. Technisch ist das durchaus anspruchsvoll, schnelle Passagen und vor allem große Intervallsprünge am Ende zeigen ziemlich schnell, wer sein Instrument gut intonieren kann und wer rhythmische Kontrolle hat.

Mit jazziger Coolness wird Theodor Eduard Schenck die Ballade für Posaune und Klavier von Eugène Bozza vortragen. (Foto: Alescha Birkenholz)

Doch viel spannender, ja überraschender wird es danach. Denn die Posaunen sind quasi die Modernisten unter den Orchesterinstrumenten. Alle Stücke, die im ersten und zweiten Durchgang sonst noch auf der Repertoire-Liste stehen, sind aus dem 20. Jahrhundert. Vieles klingt jazzig, besonders die Ballade für Posaune und Klavier von Eugène Bozza. Und so werden die ersten fünf Tage Posaunen doch erstaunlich abwechslungsreich. Es gibt lauter neue Komponisten zu entdecken, und die Durchgänge eins und zwei bei den Posaunen werden zur musikalischen Entdeckungsreise. Keinen Bach, keinen Schubert, keinen Debussy gibt es hier. Die einzelnen musikalischen Charaktere zeigen sich mit den gebrochenen, disharmonischen und dann auch wieder schmeichelnden Klängen der Moderne und der Gegenwart.

Theodor Eduard Schenck trifft den Bozza mit jazziger Coolness. Miguel Cedeño aus Venezuela legt warmen Blues in sein Spiel. Und Polina Tarasenko hat in Iannis Xenakis sehr geräuschlastigem "Keren für Posaune solo" einen tollen musikalischen Flow.

Die Zeit verfließt. Spannend ist es, die Unterschiede zu hören. Spannend ist es auch zu sehen, woher die Musiker kommen, wo sie stehen. Einige studieren noch, andere haben bereits Orchesterstellen. So auch der letzte am ersten Vormittag: Rocco Rescigno. Sein Vorspiel sticht heraus. Er weiß, was er von den Stücken will. Das romantische Stück funktioniert bei ihm, die Jazz-Ballade von Bozza und die modernistische Sonatine von Kazimierz Serocki auch. Seine Interpretation hat eine Linie, einen erzählerischen Faden, der die unbekannten Stücke auch für das Publikum greifbar macht. Genau so etwas sei dem schon 30-jährigen Rescigno wichtig, berichtet er nach seinem Vorspiel in der zweiten Runde. Rescingo ist bereits Soloposaunist bei den Duisburger Philharmonikern, der Wettbewerb sei auch für ihn eine gute Gelegenheit, neue Stücke zu entdecken. Beim Spielen will er etwas fühlen, das sich aufs Publikum übertragen soll. Um sich diesem sehr modernen Repertoire, das im zweiten Durchgang noch einmal experimenteller ist, zu nähern, habe er nicht nur geübt, sondern sich auch zeitgenössische Kunst in der Pinakothek der Moderne angeschaut, erzählt er.

Geschafft: Alberto Bonilla Losa nach seinem Auftritt beim ersten Durchgang (rechts). (Foto: Alescha Birkenholz)

Der Wettbewerb funktioniert wieder. Das Publikum ist nach zwei Jahren Corona zurückgekommen. Der ARD-Musikwettbewerb hat ja eine richtige Fan-Base. Da gibt es einzelne Grüppchen, die sich auf ein Fach spezialisieren. "Komm, die Ergebnisse der Flöten sind schon da", ruft eine Besucherin aufgeregt ihrer Begleitung von der Pinnwand aus zu, an der sich im Foyer immer eine kleine Menschenmenge bildet. Wer wann was spielt, kann man da erfahren. Aber auch die Ergebnisse werden dort ausgehängt. Es gibt auch einige die mitschreiben, die sich Notizen machen, die den Wettbewerb auch in diesen Anfangsrunden verfolgen und hoffen, ihren Favoriten dann in den Finalrunden wiederzusehen. "Oh nein, die Schweizerin ist raus", ruft eine andere, die gerade die Kandidaten für das Semifinale der Flöten entdeckt hat. Andere puzzeln sich die Runden zusammen. "Wie lange wird denn hier gespielt?", fragt ein Zuschauer im zweiten Durchgang Posaune, es ist 11.15 Uhr, "schaffe ich es um 12 Uhr bei den Pianisten zu sein?" Ja, diesen Sprung ins gegenübergelegene Studio 1 wird er schaffen, die Kandidaten im Fach Posaune spielen pro Vorspiel etwa 20 Minuten.

Doch auch für die Teilnehmer ist der Wettbewerb mehr als nur ein musikalisches Kräftemessen. Theodor Eduard Schenk kommt nicht über die erste Runde hinaus. Trotzdem sitzt der junge Musiker in fast allen weiteren Runden und hört sich seine Kollegen an. Auch Ann-Catherina Strehmel, eine von nur vier Frauen im Wettbewerb, bleibe auf jeden Fall bis zum Finale in München, erzählt sie, denn: "Wann trifft man schon mal so viele Posaunisten an einem Ort?" Für die 27-Jährige, die im Orchester am Theater Kiel spielt, ist das in diesem Jahr die letzte Chance an dem renommierten Wettbewerb teilzunehmen. Das Höchstanmeldealter lag in diesem Jahr bei 31 Jahren.

Die Ukrainerin Polina Tarasenko ist mit 21 Jahren davon weit entfernt. Und obwohl sich in ihrer Biografie die Krisen und Schrecken unserer Zeit spiegeln, gehört sie zu den souveränsten Musikern im Wettbewerb. Sie ist in Cherson geboren, begann dort in einer Kinderjazzgruppe Schlagzeug zu spielen. Später wechselte sie zur Posaune, entschied sich dann zunächst für den klassischen Weg. Auch weil sie an der bekannten Moskauer Gnessin-Schule aufgenommen wurde. Es habe in ihrem Umfeld einfach viel mehr klassische Lehrer und Schulen gegeben, erzählt sie. In Deutschland studierte sie in Hannover und hat gerade ihren Bachelor gemacht. Für einen Master zieht sie nun weiter nach Bern. Ihr Spiel hat eine rhythmische Lässigkeit und Sicherheit, die heraussticht. Sie erklärt das mit ihren Kindheitswurzeln im Jazz-Schlagzeug. So schrecklich jazzig findet sie das moderne Repertoire aber nicht, da kennt sie ganz anderes. Auch weil sie überlegt, ob sie nicht doch auch noch ein Jazz-Studium dranhängen soll.

Warum steht ein Klavier im Fach Posaune auf der Bühne im BR-Funkhaus, fragen sich einige Zuhörer? Weil die Kandidaten begleitet werden, wie hier Eryk Mence. (Foto: Alescha Birkenholz)

Polina Tarasenko ist die einzige Frau, die es ins Semifinale geschafft hat. Sieben Musiker sind es insgesamt, einer mehr als gewohnt. In der Regel reduziert sich die Kandidaten-Anzahl mit dem Halbfinale auf sechs. Und für die Posaunen ist die erste Finalrunde dann auch erst einmal ein zeitlicher Rückschritt. Mit Posaunenkonzerten von Michael Haydn oder Johann Georg Albrechtsberger geht es erst mal zurück in die Klassik. Dann folgt die Auftragskomposition. In den anderen Fächern oft ungewohnt, dürften die beiden Etüden, die Mike Svoboda extra für den Wettbewerb komponiert hat, bei den Posaunen eher ins Kernrepertoire fallen.

Doch der Wettbewerb ist auch immer ein Abschiednehmen. Rocco Rescigno hat es nicht ins Semifinale geschafft. Er reist nun ab nach Duisburg, zu seinem Orchester. Zurück in sein reales Musikerleben. Immerhin habe er schon das erste symphonische Konzert der Saison dort verpasst. In München geht es unterdessen weiter. Am Mittwoch, 7. September, mit dem Finale der Flöten, und am Freitag, 9. September, gehen die Posaunen in ihre Finalrunde. Die Streichquartette spielen ihre letzte Runde am 10. September, das Klavierfinale folgt am 11. September.

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