Es gibt in München eine öffentliche Schatzkammer - sie ist für jedermann zugänglich, nur ein paar Gehminuten von der Innenstadt entfernt: Das Umfeld der Pinakotheken rund um den Königsplatz gilt mit seiner Zusammenballung von Kunst-, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen auf 66 Hektar als weltweit einmalig. Für die Münchner hieß es lange "Museumsquartier", seit einigen Jahren hat sich der Begriff "Kunstareal" für diesen funkelnden Kultur-Cluster eingebürgert.
Herausragend ist aber nicht nur das Konglomerat aus 16 Museen und Ausstellungshäusern, 40 Galerien und sechs Hochschulen zwischen Heßstraße im Norden, Türkenstraße im Osten, Karlstraße im Süden und Augustenstraße im Westen. Außergewöhnlich ist auch, wie sehr Kunst-, Architektur-, Wissenschafts- und Zeitgeschichte in diesem Teil der Maxvorstadt miteinander verwoben sind.
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Das Geviert aus etwas über einem halben Quadratkilometer verdankt die Stadt König Ludwig I. und seiner Vision vom "Isar-Athen". Schon als Kronprinz begann er, eine Antiken- und Gemäldesammlung aufzubauen. "Mein verrückter Sohn will wieder Geld ausgeben, dessen bin ich mir sicher, um alten Plunder zu kaufen, und er hofft, dadurch Griechen und Römer aus dieser Rasse von Biertrinkern zu machen", charakterisierte Max I. Joseph in einem Brief das Gebaren des Thronfolgers. Heute würde man sagen: Er gab einen Haufen Geld aus, um die Stadt zu veredeln - und die Kulturgüter auch der Volksbildung in Diensten zu stellen.
Es ging dabei auch um Stadtbaukunst: Die Maxvorstadt war die erste auf dem Reißbrett geplante Stadterweiterung. Das rasterförmige Straßennetz im Kontrast zur verwinkelten Altstadt gilt heute wieder als hochmodern. Im 19. Jahrhundert durfte allerdings die Ästhetik nicht zu kurz kommen. Das Konzept des Architekten Karl von Fischer von der "durchgrünten Gartenvorstadt mit Pavillonbebauung" ist noch ablesbar, wobei es auch Spott gab. München sei "ein Dorf, in dem Paläste stehen", ätzte der Dichter Heinrich Heine.
Der Königsplatz war Ludwigs Lieblingsprojekt - er plante und baute daran schon als Kronprinz und ließ nach seiner Abdankung nicht davon ab. Unter der Ägide von Architekt Leo von Klenze entstand an der Nordseite von 1816 bis 1830 mit der Glyptothek ein Kunst-Tempel im Wortsinne, mit ionischen Säulen, Ädikulen, Fresken - das erste Museum Münchens.
Die monumentale Verbeugung vor der Antike wurde von den Nazis architektonisch und ideell misshandelt: Adolf Hitler stellte den Königsplatz als Kultort der "Hauptstadt der Bewegung" in Dienst des Regimes, und ließ das gesamte Umfeld zu einer Art Parteiviertel umgestalten. Wie ein Krake breitete sich die NSDAP aus, nahm ein Grundstück nach dem anderen in Besitz. Es entstanden protzige Bauten wie der "Führerbau" (heute Hochschule für Musik) oder das NSDAP-Verwaltungsgebäude (heute Zentralinstitut für Kunstgeschichte).
Der Königsplatz wurde mit 20 000 Granitplatten zugepflastert, die Speerspitze des Staatsterrors angesiedelt. Nur zwei Beispiele: Die SS-Reichsführung zog an der Karlstraße 8 und 10 ein, die Parteispitze ins "Braune Haus" an der Brienner Straße; das Wittelsbacher Palais wurde zur Gestapo-Zentrale mit Foltergefängnis umgestaltet.
Wie zum Hohn wurden einige von Hitlers Neubauten von der Kriegszerstörung verschont, darunter die "Ehrentempel" an der Arcisstraße, welche die US-Militärregierung 1947 sprengen ließ. Schwere Wunden trugen Museumsgebäude wie die Alte Pinakothek davon, ebenso die ehrwürdigen Bauten der Technischen Universität (TU). Friedrich von Thiersch schuf 1916 das weithin sichtbare, heutige Wahrzeichen der TU, den Thiersch-Turm an der Gabelsbergerstraße. Unvollendet ist unterdessen das Projekt, das Kunstareal als Marke wahrnehmbar zu machen. Seit langem mühen sich Akteure aus Stadt und Staat, diesen hoch konzentrierten Brennpunkt unter einem Label zu vereinen. Das Ziel: Die berühmten Häuser sollen nicht allein für sich als Perlen glänzen - alle Institutionen sollen als Verbund eine Art Kultur-Leuchtturm bilden.
Das Projekt kommt nur zäh voran. Die Topografie mit den verstreuten Gebäuden, durchzogen von Verkehrsadern, macht eine konsistente Vermarktung schwierig. Wobei die großen Freiräume wiederum Platz für Kunst-Aktionen und zum Erholen bieten. Bis heute gibt es kein "Kunstareal-Ticket" für alle Museen. Das Schatzkammer-Kollektiv bleibt noch ein Traum, der nur bei den äußerst erfolgreichen Kunstareal-Festen spürbar wird.
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1. Lenbachhaus
Warum es sich lohnt innezuhalten: Franz von Lenbach wurde zu Lebzeiten, Ende des 19. Jahrhunderts, schon als "Malerfürst" tituliert, weshalb er kaum Anlass für Bescheidenheit sah. "Ich gedenke mir einen Palast zu bauen, der das Dagewesene in den Schatten stellen wird", schrieb er 1885 in einem Brief. Tatsächlich zählt seine Wohn- und Atelieranlage zu den aufwendigsten Künstlerdomizilen seiner Zeit, die vor allem auch der gesellschaftlichen Repräsentation des Malers diente. Die Architektur spielt mit den Formen der italienischen Renaissance: Lenbach ließ sich ein Ensemble mit Freitreppe, Säulen und Loggien nach Art einer toskanischen Villa errichten. Nach seinem Tod wurde der Komplex zur städtischen Galerie, berühmt für seine Sammlung der Kunst des Blauen Reiters. 2013 kam der goldfarbene, kubische Anbau hinzu, der heute die Eingangssituation prägt.
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2. Richard-Wagner-Straße
Warum es sich lohnt innezuhalten: Auf knapp 300 Metern ist ein Häuser-Ensemble der späten Gründerzeit erhalten, ein architektonisches Relikt des Historismus: Der Münchner Architekt Leonhard Romeis verwirklichte ein hochgradig eklektizistisches Ensemble. Er griff auf Versatzstücke vom Spätmittelalter bis zum Neubarock zurück und kombinierte sie so, dass die Häuserzeile scheinbar historisch gewachsen anmutet. Hier lebte das gehobene Bürgertum, darunter bekannte Münchner Juden, welche die Nazis in die Emigration trieben. Hinter der gotischen Fassade der Nummer 7 wohnte Josef Schülein, sozial engagierter Brauereibesitzer. Zermürbt von der Hetzte gegen sein "Judenbier", zog er sich auf Gut Kaltenberg zurück, wo er 1938 starb. Im selben Jahr floh der jüdische Chirurg Alfred Haas mit seiner Familie in die USA. Er hatte an Nummer 17 und 19 eine Privatklinik betrieben - bis ihm das NS-Regime die Approbation entzog.
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3. Alte Pinakothek
Warum es sich lohnt innezuhalten: Mit der Alten Pinakothek hat Klenze im Auftrag Ludwig I. eine Museums-Sensation geschaffen - und den Prototyp eines Galeriegebäudes: Mit 150 Metern Länge war es der größte Museumsbau dieser Zeit. Phänomenal war zudem, dass die Architektur zurücktritt hinter die Präsentation der Exponate. Die Rahmung durch Rundbogen-Arcaden und Fresken wahrt die Würde der Werke und betont sie. Durch den Bombenkrieg wurde das Gebäude schwer beschädigt, sogar ein Abriss war im Gespräch. Doch erneut entstand Mustergültiges: Die 40 Meter lange Trümmerlücke wurde mit einem Ziegelrohbau geschlossen, der die ursprünglichen Fassadenformen aufnimmt - nicht rekonstruiert. Im Inneren wurde der Eingang verlegt, ein neues Treppenhaus eingebaut. So sind die Spuren der Geschichte ablesbar, zudem die Ästhetik der Wiederaufbauzeit sichtbar. Foto: Johannes Simon
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4. Bayerische Landesbank
Warum es sich lohnt innezuhalten: An der Ecke Türkenstraße/Brienner Straße erinnert eine Bronzetafel an ein verschwundenes Bauwerk, das einen festen Platz in der Stadtgeschichte hat: das Wittelsbacher Palais. Kronprinz Maximilian II. ließ sich diesen englisch-gotischen Prachtbau errichten, bezog ihn aber nie. Dafür wurde er zum Alterssitz seines Vaters Ludwig I., der die Anlage nie mochte. Nach der Revolution 1918 nutzte die Räteregierung das Palais als ihren Sitz. Seit der Nazi-Herrschaft ist der Komplex als Schreckensort ins kollektive Gedächtnis der Münchner eingebrannt. Das Regime richtete dort die Gestapo-Zentrale samt Folter-Gefängnis ein; die Geschwister Scholl waren vor ihrer Hinrichtung hier eingesperrt. Nach dem Krieg nutzte eine Kfz-Werkstatt einen Gebäudeteil bis das Ensemble 1964 abgerissen wurde. Von 1977 an entstand der weitläufige Bau der Bayerische Landesbank mit vieleckigem Eingangshof.
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5. NS-Dokumentationszentrum
Warum es sich lohnt innezuhalten: Das Museumsquartier ist kontaminiert von der NS-Diktatur: Die Hitlerpartei hatte sich dieses Viertel als Herzkammer erwählt - und das NS-Dokumentationszentrum steht in deren Zentrum. An dieser Stelle befand sich das "Braune Haus" - die NSDAP-Zentrale, die im Krieg zerstört wurde. Das Gelände blieb bis 2012 unbebaut, bis nach langem Hin und Her der Grundstein für die Neugestaltung dieses Täter-Ortes gelegt wurde: Es sollte ein Erinnerungs- und Lernort werden - kein Museum, das Bezug nimmt auf das "Braune Haus". Es entstand ein Kubus aus Sichtbeton, der in seiner nüchternen Form den Bruch mit der Geschichte des Standortes vermittelt, ein Gegenpol zu den erhaltenen ehemaligen NS-Bauten, etwa der heutigen Musikhochschule. Eine Art gebaute Abfuhr an die Symmetrie der neoklassischen Umgebung des Königsplatzes, welche die Nazis so schamlos für ihre Zwecke nutzten.
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6. Evangelisches Landeskirchenamt
Warum es sich lohnt innezuhalten: Seit 2015 prägt der Erweiterungsneubau des Evangelischen Landeskirchenamts den Zugang zum Kunstareal über die Katharina-von-Bora-Straße, die nach der Frau von Martin Luther benannt wurde. Entstanden ist ein moderner Komplex mit Stahldach und einer in Rauten gegliederten Fassade. Es ist der Schlussstein für einen "evangelischen Straßenzug": Die Kirchenverwaltung sitzt hier seit 1929, als ein dreiflügliger Palazzo den Nukleus für die Landeskirchenverwaltung bildete. Das Ensemble ist einerseits zeitgeschichtlich interessant: Hier wirkte Landesbischof Hans Meiser, nach dem diese Straße einmal benannt war - und dem man diese Ehre wegen seiner opportunistischen Rolle in der NS-Zeit sowie antisemitischer Äußerungen aberkannte. Der Neubau markiert Aufbruch und Selbstbewusstsein der Protestanten.
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7. St. Bonifaz
Warum es sich lohnt innezuhalten: St. Bonifaz wird oft als "Münchner Basilika" bezeichnet und ist ein bedeutendes Beispielen für Ansätze einer Sakralbaureform im 19. Jahrhundert: Nicht Klassizismus oder Neugotik sollten zitiert, dafür ein Revival frühchristlicher Raumformen gewagt werden, ein "Paläochristianismus". Im Auftrag Ludwigs I. entstand eine fünfschiffige Basilika mit Klosteranlage für die Benediktiner sowie eine Bibliothek - ein Beispiel für die Verwirklichung von Ludwigs Idealvorstellung von der Verbindung von Glauben und Wissenschaft, Antike und Christentum. Der König selbst ist hier in einem Sarkophag begraben; darunter ist die Gruftkammer seiner Gemahlin Therese, einer Protestantin. Nach der Kriegszerstörung wurde der Bau in reduzierter Form restauriert - anstelle des zerstörten Nordteils wurde ein Gemeindezentrum in Sichtbetonbauweise errichtet.
Königsplatz
Warum es sich lohnt innezuhalten: Bereits Ludwig I. hatte es sich schon als Kronprinz Anfang den 19. Jahrhunderts zur Herzensaufgabe gemacht, den Königsplatz zu gestalten. Nachdem ihm die Entwürfe des Architekten Karl von Fischer nicht genügten, lobte er einen Wettbewerb aus. Leo von Klenze erhielt 1815 den Zuschlag für den Bau der Propyläen und der Glyptothek, die als Ausstellungsort für die stetig wachsende Kunstsammlung des Königs diente. In der Architektur des Platzes findet man sowohl griechisch-antike Elemente wie auch Merkmale der römischen Architektur. Die Nationalsozialisten degradierten den Platz zum zentralen Ort für ihre Aufmärsche. Unter den Augen von 50 000 Schaulustigen wurden hier am 10. Mai 1933 Bücher verbrannt. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Platz stark zerstört, der Ehrentempel für die Toten des Hitlerputsches von der US-Armee gesprengt. Lange hatte die Stadt kein Konzept für das Areal, das den Münchnern bisweilen als Parkplatz diente. Erst Ende der Achzigerjahre begann die Stadt damit, den Platz wieder in seine ursprüngliche Form zu bringen - und den Münchnern damit einen Ort zum Sonnen, Erholen und für zahlreiche Sommerveranstaltungen zu geben.