Architekturspaziergang:Mehr Mut zur Architektur

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Der Pasinger Wandel bringt Abrisse, Umbrüche und Neubauten mit sich. Vor allem aber erbringt er den Beweis dafür, dass der Kontrast von Alt und Neu spannend sein kann.

Von Martin Bernstein (Texte) und Alessandra Schellnegger (Fotos)

Man spricht wieder über Bauen in Pasing - und nicht mehr ausschließlich über die Architekten der Villenkolonie wie August Exter, Richard Riemerschmid und Bernhard Borst. Was in den vergangenen Jahren im Westen Münchens passiert ist, wird oft als "Pasinger Wandel" bezeichnet. Bauwerke, die es vor zehn Jahren noch nicht gab, gehören jetzt ganz selbstverständlich dazu: die Nordumgehung NUP, die zweiteiligen Pasing-Arcaden, die Hofgärten, der neue Terminal für die Bahnreisenden - Pasinger Bahnhof 4.0, wenn man so will. Sogar an die komplett neue Straßenführung hat man sich allmählich gewöhnt, schon wieder vorbei die Zeiten, als Autofahrer im Gewirr der Einbahnregelungen auf dem Pasinger Marienplatz strandeten. Der wird jetzt übrigens auch gerade umgekrempelt. Dort ist die legendäre Ladenzeile "Pappschachtel" abgerissen, sie wird durch einen Neubau ersetzt.

Der Pasinger Wandel, ausgelöst durch die Nutzung und Umstrukturierung der Bahnareale, ist aber auch so etwas wie eine Pasinger Industriearchäologie. Bauliche Zeugnisse der örtlichen Wirtschaftsgeschichte wurden in den vergangenen Jahren gleichsam "freigelegt". Und erstaunt rieben sich manche Münchner die Augen: Dort drüben an jenem zweiten Fluss, der München durchfließt, gab es nicht nur ein eigenes Rathaus (Pasing war bis 1938 eine selbständige Stadt), einen Marienplatz samt Mariensäule, sogar einen Viktualienmarkt.

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In Pasing gab es auch architektur- und kunstgeschichtliche Kleinodien. Nicht so historisch wie der Alte Peter, nicht so pittoresk wie das Neue Rathaus, nicht so herrschaftlich auftrumpfend wie die Frauenkirche. Aber dafür oft mit einem spannenden Innenleben, auch wenn das wie im Fall des Bürklein-Bahnhofs erst unter meterdickem Hausschwamm herausgeschält werden musste. Und so könnte Pasings Zentrum heute als Freilichtmuseum der Münchner Wirtschafts- und Industriegeschichte durchgehen - wenn Museum nicht so nach verstaubt klänge. Ebenböck-Villa, die historischen Bahnhofsgebäude, das Wasserpumpenhäuschen, die Pasinger Kuvertfabrik - obwohl: Da zeigt sich auch die Kehrseite des Wandels.

Dass es sich bei der "Kupa" am Knie, dem östlichen Wendepunkt unseres Spaziergangs, überhaupt um ein Denkmal handelt, wusste zunächst niemand. Von außen sah das 1906 errichtete Gebäude recht unscheinbar aus. Nachdem die Kuvertproduktion eingestellt wurde, ging es mit dem Bauwerk bergab. Erst als Künstler einzogen und in Eigeninitiative mit der Sanierung begannen, wurde deutlich, welche Schätze in dem alten Industriebau schlummerten: ein Jugendstil-Treppenhaus, Säulen-Säle, Art-Déco-Fliesen. Die Künstler, unterstützt durch Lokalpolitiker und viele Bürger, brachten das Denkmalamt dazu, noch einmal genau hinzusehen. 2011 wurde die Kupa zum Denkmal. Zu spät für den Erhalt, hätte der Investor nicht mitgespielt. Jetzt ist der Bau gerettet - doch die Retter, die Künstler, mussten ausziehen. Pasinger Wandel.

Nicht gerettet wurde dagegen der Kopfbau auf dem benachbarten Stückgutgelände. Wohnungen wachsen dort entlang der Nordumgehung in die Höhe. Nicht jeder mag deshalb über diesen Wandel glücklich sein. Was er Pasing jedoch unzweifelhaft beschert hat, ist ein spannungsvolles Mit- und Nebeneinander, an manchen Stellen vielleicht auch ein Gegeneinander von Alt und Neu, von Altem, das erneuert wurde, und von Neuem, das ein bisschen auf alt getrimmt wurde.

Architektonisch tritt Pasing den Beweis an, dass moderne Architektur nicht im Reservat eines Neubauviertels am Stadtrand entstehen muss, sondern auch im historischen Zentrum einer Kommune (als die die Pasinger ihren Stadtteil immer noch sehen) reüssieren kann. Einem Bürklein-Bau schadet es mitnichten, wenn er von einem Allmann-Sattler-Wappner-Großprojekt gerahmt wird. Und wenn ausgerechnet beim Bau moderner Wohnhäuser im historischen Zentrum Pasings zwischen Würm und Gatterburg Spuren aus der frühesten Ortsgeschichte auftauchen, dann zeigt das, wie tief die Pasinger Archäologie buchstäblich reicht. Das mag sogar für die viel diskutierte Nordumgehung gelten. Zwischen zwei historischen Bahnhofsgebäuden und einem modernen Einkaufszentrum auf der einen und dem viertgrößten Bahnsteigareal Bayerns auf der anderen Seite wurde eine vierspurige Umgehungsstraße eingeschoben. Von Pasing lernen hieße, wenn man es denn wollte, das: Mut zur Architektur.

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1. Hofgärten und Comenius-Schule

Warum es sich lohnt innezuhalten: Das Jan-Amos-Comenius-Kinderhaus und die Grundschule der Münchner Schulstiftung Ernst von Borries, die mit ihrem Spielhof an die Grünfläche zwischen Würm und Würmkanal anschließen, bilden den westlichen Abschluss der so genannten Hofgärten. Das Projekt galt als erster Stadtbaustein bei der Neugestaltung des Viertels. Erklärtes Ziel der Architekten war die Schaffung einer städtischen Struktur, die einem ICE-Bahnhof (immerhin dem viertgrößten Bayerns) angemessen erscheint. "Gleichzeitig integriert sich das Gebäude in den gewachsenen Pasinger Stadtkern," schreiben die Planer. Aus der massiven Blockstruktur sind abwechselnd nach Norden und Süden geöffnete Höfe herausgeschnitten. Die beiden nördlichen Innenhöfe sind mit großen Schallschutzwänden geschlossen. Der bewusste Einsatz von Klinker an Fassadenteilen nimmt Elemente des historischen Bahnhofs auf.

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2. Alte Kirche Mariä Geburt

Warum es sich lohnt innezuhalten: Weil die ein bisschen versteckt am Ostufer der Würm liegende Kirche das älteste Baudenkmal in Pasing ist. Zumindest, wenn man von dem mittelalterlichen Wasserschloss absieht, von dem man beim Blick über den Zaun gleich hinter der Kirche eine Vorstellung bekommt. Heute steht auf dem von einem Wassergraben umgebenen Hügel ein Gartenhäuschen. Die einschiffige Saalkirche mit Flachdecke und Satteldach, polygonalem Chor und Flankenturm mit Pyramidendach stammt im Kern aus dem 15. Jahrhundert. Das Gotteshaus muss allerdings älter sein, denn es wurde schon 1315 erstmals als Filialkirche der Pfarrei Aubing erwähnt. Dann wurde immer wieder an der Kirche herumgebaut. 1422 fiel sie einem Krieg verfeindeter Wittelsbacher zum Opfer, später stürzte der Turm ein. Bemerkenswert im Inneren sind die Epitaphe Pasinger Schlossherren - der früheren Nachbarn also.

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3. Neubau bei Schloss Gatterburg

Warum es sich lohnt innezuhalten: Weil ein ganz altes und ein ganz neues Pasing sich an dieser Stelle begegnen. Denn als die Baywobau unter dem Slogan "Wohnen im Park Gatterburg" sechs Gebäude auf einem 7500 Quadratmeter großen Areal an der Engelbertstraße errichten ließ, stießen Archäologen auf Siedlungsreste vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert. So etwas hatte man erwartet. Doch daneben fanden die Ausgräber auch Scherben aus der Römerzeit. Vielleicht stand dort vor 2000 Jahren eine "Villa rustica", das Landgut eines Legionärsveteranen - möglicherweise genau an der Stelle der heutigen Gatterburg. Die ließ der bayerische König Maximilian I. Joseph zwischen 1814 und 1817 als Landsitz für seinen Sohn Prinz Karl errichten. Fast 20 Jahre lang war das Schlösschen im Besitz der Königsfamilie. Nachdem das Gebäude 1999 renoviert wurde, beherbergt es heute Büroräume.

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4. Haci-Bayram-Moschee

Warum es sich lohnt innezuhalten: Weil die im Mai 1999 in prominenter Lage in der Planegger Straße 18a eröffnete Moschee zeigt, dass Minarette (die in diesem Fall eher Mini-Minarette und zudem in Wirklichkeit Entlüftungsschächte sind) und denkmalgeschützte oberbayerische Bauernhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert (eines steht gleich daneben, ein anderes gegenüber) absolut zusammenpassen. Warum auch sollten sie nicht? Weil das Innere, das man zum Beispiel bei den Führungen der um den interreligiösen Dialog bemühten Gemeinde besichtigen kann, viel prächtiger ist, als es das doch eher profane Äußere des Gottes- und Gebetshauses vermuten lässt. Mit Fliesen im anatolischen Stil und traditionellem osmanischen Kuppeldekor. Eine echte Pasinger Sehenswürdigkeit. Auch die Moschee steht übrigens auf uraltem Boden: Beim Kanalbau wurden unter der Planegger Straße Bajuwarengräber entdeckt.

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5. Ebenböck-Villa

Warum es sich lohnt innezuhalten: Weil man sich - insbesondere bei sommerlichen Kulturveranstaltungen im bis zur Bodenstedtstraße reichenden Park - spielend leicht in die Toskana versetzt fühlen darf. Die Villa selbst ist ein spätklassizistischer Bau von 1865, der 1926 umgebaut wurde. Als die Familie Ebenböck ihre florierende Wachszieherei von München nach Pasing verlegte, ließ sie dort einen Firmensitz samt Parkanlagen errichten. Die Wachszieherei befand sich hier bis 1905. Die Villa - ein zweigeschossiger Walmdachbau mit eineinhalbgeschossigen Seitenflügeln und Mittelrisalit mit dreieckigem Flachgiebel - diente der Familie vor allem als Sommersitz. Karl Valentin oder Carl Spitzweg zählten zu den Gästen. Im Jahr 1952 wurde das Anwesen der Landeshauptstadt München vermacht. Seit Anfang des Jahres 2011 verwaltet die Pasinger Fabrik die Villa. Das Kulturreferat unterhält dort ein Artist-in-Residence-Programm für internationale Gastkünstler.

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6. Pasing-Arcaden

Warum es sich lohnt innezuhalten: Weil kein Bauwerk (außer vielleicht der direkt benachbarten Nordumgehung NUP) den Pasinger Wandel der vergangenen Jahre so sehr verkörpert wie das in zwei Baukomplexe aufgeteilte Einkaufszentrum der Pasing- Arcaden. Auf dem Dach des dreigeschossigen Gebäudes des ersten, nördlichen Bauteils (2011) sind knapp 50 Wohnungen mit Alpenblick entstanden. Das Wohndeck wird jeweils über begrünte Höfe mit Öffnung nach Süden erschlossen. "Zur neuen Umgehungsstraße im Norden und den Bahngleisen bilden die Pasing Arcaden eine markante städtebauliche Kante", heißt es in der Beschreibung der Architekten. Während sich der Baukörper der Arcaden I in Ost-West-Richtung auf 270 Metern Länge und nur etwa 40 Metern Breite erstreckt, ist Teil II im Grundriss eines Sechsecks gedrungener. Über der Rotunde bringt dort ein ovales Glasdach Tageslicht in alle Etagen.

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7. Alter Bürklein-Bahnhof / Alex

Warum es sich lohnt innezuhalten: Weil es fast an ein Wunder grenzt, dass Münchens erster Bahnhof vor dem Verfall gerettet werden konnte. Meterdick saß der Hausschwamm in dem historischen Gemäuer. Und heute? Sitzen drinnen und draußen Flaneure und Bruncher. Der Architekt Friedrich Bürklein (1813 bis 1872), Schöpfer des Maximilianeums und der Maximilianstraße, hat ihn entworfen. 1848 wurde der Bau an der Bahnstrecke München-Augsburg eröffnet, bis dahin hatten Reisende am Halt in Pasing in einem Bretterverschlag auf den Zug warten müssen. Als die Starnberger Bahnlinie durch Pasing führte, wurde 1873 etwas weiter westlich ein neues, größeres Bahnhofsgebäude errichtet. Der Bürkleinbau diente als Lager und für Dienstwohnungen der Eisenbahner. Dann kamen der Schimmel und die Tauben. Und dann die Pasing-Arcaden. Und mit ihnen die Wiedergeburt. Bürklein hätte es bestimmt gefreut.

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