"Alpenklezmer" - das war die wegweisende Erfindung, als Musikstil wie als Bandname, die Andrea Pancur dann doch ziemlich bekannt machte. In ganz Europa vielleicht sogar mehr als in ihrer Heimatstadt München. 1969 hier geboren, studierte sie nach dem Abitur an der Ludwig-Maximilians-Universität Englisch und Geschichte auf Lehramt.
Schon in dieser Zeit aber begann die Musik eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Als Jugendliche hatte sie ein "Erweckungserlebnis", wie sie es später beschrieb - bei einem Konzert der israelischen Folksängerin und Komponistin Chava Alberstein. Nach dem ersten Staatsexamen nahm sie Gesangsunterricht bei Maria Collien, Renate Glaser, Naomi Isaacs und Ingrid Zacharias. Und sie hatte auch eine Idee, wofür sie den Gesang einsetzen wollte: Die slowenischen Wurzeln ihrer Familie führten sie zur seinerzeit fast vergessenen Tradition der osteuropäischen Klezmermusik.
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1994 (nach anderen Quellen etwas später) gründete sie mit fünf Gleichgesinnten die Gruppe Massel-Tov, die sich dieses Erbes annahm - als eine der ersten Bands in ganz Europa. Eine Pioniertat, die im Zuge einer regelrechten Klezmerwelle sehr erfolgreich wurde. Zweimal war die Band für den Weltmusikpreis Ruth nominiert, auch einen Preis der deutschen Schallplattenkritik für das Album "Shtile trit" gab es 2007. Da war Pancur aber schon fast auf dem Absprung; sie wollte über die Tradition hinaus, etwas Neues schaffen.
Zunächst wandte sie sich mit dem Kölner Trio A Tickle in the Heart und dem Album "Federmentsh" dem zeitgenössischen jiddischen Lied zu. Dann traf sie den lettischen Multiinstrumentalisten Ilya Shneyveys und hatte mit ihm den richtigen Partner für das gefunden, was ihr schon seit einiger Zeit im Kopf herumspukte: den Klezmer, also die jiddische Volksmusik, mit der bayerischen Volksmusik zu fusionieren. Wunderschöne Texte in beiden Dialekten und in formvollendetem musikalischen Gewand entstanden. Mit diesem "Alpenklezmer" gewann sie endlich den Weltmusikpreis Ruth, schon 2014 beim Tanz & Folk Fest Rudolstadt, dem größten Roots-Weltmusik-Festival Deutschlands.
Sie hatte noch so viel vor
Es waren aber nicht nur ihre Stimme und ihre Stücke, die Pancurs Konzerte stets zu etwas Besonderem machten. Es war ihr Charisma, ihre immer ansteckende Energie. "Quirlig" ist sie oft genannt worden, und das ging über das Musikmachen weit hinaus. Sie war auch Chorleiterin, betätigte sich schon früh als Veranstalterin, etwa beim Klezmerfestival in Valley, wechselte seit 2000 immer wieder mal ins Schauspielerfach und entwarf das Konzept "Statt-Theater", bei dem Stadtführungen von szenischen Auftritten begleitet wurden, wobei sie selbst als singende "Kulturschaffnerin" auftrat. Mit vielen anderen rief sie das "International Network Meeting For Women And Non Binary People In Yiddish Culture" ins Leben und setzte sich als Netzwerkerin wie mit Benefizkonzerten für einschlägige in- und ausländische NGOs ein. Und nach den leidvollen Erfahrungen der Corona-Zeit wollte sie gar direkt in die Politik einsteigen.
"A Mentsh", wie man auf Jiddisch so schön sagt, war Andrea Pancur, und sie hatte noch so viel vor. Bis zum gestrigen Dienstag hätte sie einen Workshop im österreichischen Schrems geben sollen, diese Woche den nächsten in Berg. Termine und Konzerte in Nürnberg und anderswo standen an. Umso größer ist der Schock für alle Verwandten, Freunde und Fans, dass sie am vergangenen Freitag tot in ihrer Wohnung gefunden wurde. Sie wurde nur 54 Jahre alt.