Jazz-Quartett:Schöner weinen

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Andrea Hermenau sprengt mit ihrem "Nachtpracht"-Repertoire den Jazz-Rahmen. (Foto: Horst Hermenau)

Die Pianistin und Sängerin Andrea Hermenau mit ihrem Quartett in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel, München

Es wurde ordentlich in den Noten geschmökert, beim Auftritt von Andrea Hermenau und ihrem Quartett am Donnerstag in der Unterfahrt. Was so doch eher ungewöhnlich ist für derart routinierte Begleiter wie dieses Münchner All-Star-Trio, mit dem Hermenau schon ewig zusammenspielt, nämlich dem Saxofonisten Till Martin, dem Bassisten Sven Faller und dem Schlagzeuger Bastian Jütte. Aber sie alle hatten das diesen Abend im Kern prägende "Nachtpracht"-Repertoire, das quasi als Auftragsarbeit für den BMW Welt Jazz Award 2020 entstanden war, eben seit mehr als einem Jahr nicht mehr gespielt. Die geplante Tournee fand wegen Corona nie statt. Ganz aus dem Bauch heraus lässt sich aber ein Programm wie dieses nicht spielen.

Denn die Pianistin, Sängerin und Komponistin Andrea Hermenau hat hier Elemente verschweißt, die den üblichen Jazz-Rahmen weit sprengen. Albanische Volksmusik mit der ihr eigenen ungeraden Rhythmik, bosnische Liebeslyrik ("die leider immer traurig ausgeht"), klassische Motive vor allem in den Klavier-Soli, Minimal Music à la Philipp Glass in vertrackten Clustern, modernisierte Standards aus dem Great Songbook wie "I'm Glad There Is You", hymnische eigene Gesangsballaden ("With You in Mind") - es kommt bei ihr viel zusammen, das gemeistert werden muss. Was diese alles andere als zufällig zusammengestellte Truppe freilich überzeugend schaffte: Sven Faller mit der etwa von Le Bang Bang gewohnten Qualität, den Bass fast zum Melodieinstrument zu machen; Till Martin mit seinem unverwechselbar reduzierten und trockenen, manchmal auch wie ein Alt klingenden Ton am Tenorsaxofon, der wie wenige andere seines Fachs ideal "begleitet"; schließlich Bastian Jütte, der dem Ganzen stets einen federnden Drive gibt. Wie ein Kokon umhüllt dies alles Hermenaus eloquentes, melodiöses Klavierspiel und ihren sanften Lied-Gesang.

Was auch diesmal "Maßstäbe setzte", wie es der Rezensent der Neuen Musikzeitung nach dem BMW-Auftritt vor fast zwei Jahren formulierte. Mit einer zumeist - es waren auch neue, eher sommerliche, tageshelle Stücke dabei - nachtblauen, poetisch-lyrischen Jazz-Kammermusik, die berührt. Zum Beispiel bei "Lagrimas", einer Komposition Hermenaus, die mit allerlei Finessen und einem radikalen Stimmungs- und Tonartwechsel den Tränen huldigt, die man aus Trauer wie vor Freude vergießen kann. Schöner kann Musik kaum weinen.

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