Amtsgericht:"Ich bin ja auch noch nie umbracht word'n"

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Bei einem Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung stiften Opfer und Angeklagter mit ihren Aussagen Verwirrung. Das stellt nicht nur die Geduld der Richterin auf die Probe.

Von Susi Wimmer

Es ist das Privileg eines Angeklagten, vor Gericht zu lügen, dass sich die Balken biegen. Zeugen müssen die Wahrheit sagen, sonst können sie strafrechtlich belangt werden. Wer an diesem Mittwoch im Amtsgerichtssaal A 221 die Wahrheit sagt, das weiß nur der Himmel. Auf der Anklagebank sitzt Gerüstbauer Herbert P., 52. Er soll einen Bekannten in dessen Laimer Wohnung mit Fäusten verprügelt, mit Fußtritten gegen den Kopf traktiert und ihm eine Flasche über den Kopf gezogen haben. Mit dem Satz: "I bin Schwerstalkoholiker", erklärt P. seine Erinnerungslücken was die Tat betrifft. Das damals ebenfalls betrunkene Opfer gibt Widersprüchliches von sich mit dem Argument: "Ich bin ja auch noch nie umbracht word'n." Eine Zeugin steuert bei: "Ich war einfach b'soffn." "Ja", sagt die Richterin, um Geduld bemüht, "das mag ein Grund sein, aber keine Generalausrede."

Es ist kein einfacher Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung, den das Schöffengericht zu verhandeln hat. Über Stunden ziehen sich die Aussagen der drei Protagonisten. Und Staatsanwalt Laurent Lafleur entfährt nach etlichen Zurechtweisungen der teils pampigen Zeugen ein "langsam fehlt mir die Geduld für diese Veranstaltung", worauf die Zeugin prompt mit "mir auch" antwortet.

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Die Anwälte des Mannes haben ein Schreiben erhalten, demzufolge das Verfahren eingestellt worden sei. Die Mitteilung wurde offenbar aus Versehen verschickt.

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Herbert P., graues Haar, auffallendes Tattoo am Hals, ist stolz darauf, dass er bis zu seiner Festnahme immer noch gearbeitet hat. Dabei habe er nach Feierabend schon zehn bis zwölf Halbe gekippt, dazu drei bis vier Flachmänner Wodka. Morgens bei der Arbeit habe er schon noch eine Fahne gehabt und sei recht zittrig gewesen. "Aber wer saufa ko, ko am nächsten Tag in d' Arbeit geh'!", ist sein Motto. Und sein Chef würde ihn nach der Haft "sofort wieder einstellen", erklärt er. Im Oktober habe er "bei der Entgiftung" die damals 33-jährige Mandy P. ( Namen aller Zeugen geändert) kennengelernt. "Mei, de hod ausg'schaut, Brüche im ganzen G'sicht." Er habe sich um Mandy gekümmert, "Klamotten gekauft", und "ja, wir hatten Sex".

Die Tür zum Gerichtssaal wird plötzlich aufgerissen. "Ich wär jetzt da", sagt ein Mann in kurzen Jeans und streckt den Kopf herein, "die Einlasskontrolle hat gedauert." Die Richterin sagt, er möge draußen warten, bis er aufgerufen wird. Es kann weitergehen: Über seine Anwältin Monika Ertl lässt Herbert P. erklären, dass Mandy ihn am 23. Februar angerufen habe, weil ihr Bekannter Richard L. so gemein sei und sie schlage. Im Hintergrund habe er ihn schimpfen hören. Also fuhr Herbert P. nach Laim, wollte Mandy mitnehmen und saß schließlich trinkend bei L. im Wohnzimmer, wo neben Bier- und Weinflaschen "lauter Drogen auf'm Tisch lagen".

"Kann i oane raucha geh, i sitz seit 40 Minuten" - wieder unterbricht der Mann aus dem Gang die Sitzung. Die Richterin ist der Einfachheit halber auch ins Bairische geschwenkt und sagt: "Na!"

Es sei zum Streit gekommen, weil Richard L. ihm etwas zum Rauchen angeboten habe, fährt der Gerüstbauer fort. "Mit Drogen hab ich nix am Hut", verwehrt sich der Angeklagte. Dann sei es zu einer Schlägerei gekommen, die sich über das Wohnzimmer in den Flur verlagerte, wobei Elektrogeräte und Glastüren zu Bruch gingen. Dann habe er die Wohnung verlassen.

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Wenn Zwei sich streiten, müssen sie nicht unbedingt vor Gericht ziehen. Oft ist ein Gespräch mit einer Güterichterin wie Harriet Weber die bessere Lösung für beide Parteien.

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"Mei, die Mandy", sagt Richard L., der Mann aus dem Gang, der jetzt endlich im Zeugenstand sitzt. Für eine Flasche Schnaps habe die wirklich alles getan. L. ist das Opfer bei dieser Verhandlung und erzählt, wie "krass" das gewesen sei: "Ich war fix und foxi." Herbert P. habe ihn sofort angegriffen, als er kam, habe seinen Kopf auf den Küchentisch geschlagen und ihm eine Flasche - "Augustiner-Bier, noch voll" - auf den Schädel gehauen, "dass i Sterndl g'seng hob". Anschließend folgten Tritte gegen Kopf und Körper mit harten Sicherheitsschuhen. Schließlich habe Herbert P. noch die Wohnung zertrümmert. Er selbst habe gebrochene Rippen, Platzwunden sowie ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Allerdings verließ L. tags darauf das Krankenhaus auf eigene Gefahr.

Auf Nachfragen, etwa wie viele Schläge es waren, wird der "krasse" Sachverhalt ungenau. "Gute Frau", redet er die Richterin an. "Das heißt Frau Vorsitzende", weist sie ihn zurecht. "Waren Sie schon mal in einer Schlägerei?", fragt er zurück. Und dann: "Sang ma zehne." Recht viel genauer wird es auch nicht, als Mandy P. in den Zeugenstand gerufen wird. "Nein", behauptet sie, sie habe mit keinem der Herren Geschlechtsverkehr gehabt. Von Schlägen in der Küche habe sie nichts mitbekommen, sagt sie und lacht. Alle drei hatten an dem Abend zwischen 2,2 und etwa 3,5 Promille Alkohol im Blut. Das Gericht verurteilt P. schließlich zu drei Jahren Haft und zur Unterbringung in einer Entzugsanstalt. Vielleicht ist es eine Chance für ihn.

© SZ vom 22.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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