Deutschland-Chef Höweler:Mehr Schlagermusik für Amazon

Deutschland-Chef Höweler: Michael Höweler, hier in der Team-Lounge der Musikredaktion, lässt sich jeden Morgen von Alexa "Musik zum Duschen" vorspielen.

Michael Höweler, hier in der Team-Lounge der Musikredaktion, lässt sich jeden Morgen von Alexa "Musik zum Duschen" vorspielen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Michael Höweler ist Chef von Amazon Music Deutschland. Weil sich die Streaming-Plattformen stark ähneln, sucht er nach neuen Zielgruppen.

Von Michael Bremmer

Dafür, dass er Karrieren beeinflussen kann, hält er sich ziemlich im Hintergrund. Michael Höweler steht im Ampere, der kleinen Halle im Muffatwerk, an der Wand. Gerade ist er aus London zurück nach München gekommen. Er trinkt Radler, trägt eine Jeans und einen Kenzo-Sweater mit der Aufschrift "Paris". Höweler checkt kurz am Handy seine Nachrichten, dann widmet er seine Aufmerksamkeit der Bühne, auf der die Regensburger Newcomerband Some Sprouts melodiösen Indie-Pop spielt - die bayerische Antwort auf The Kooks. Später wird er sagen, dass er den Erfolg dieser jungen Band nicht nur in Deutschland sehe: "Das kann international funktionieren."

Michael Höweler ist Chef von Amazon Music Deutschland. Früher verkaufte er bei dem Onlinehändler Mode, heute ist er für das Musik-Streaming-Angebot in Deutschland und Österreich verantwortlich und hat es auf Platz zwei hinter Spotify geführt. Weltweit ist der Anbieter auf Rang drei. Wie geht das? Ein Besuch in der Konzernzentrale im Münchner Norden.

Höweler, Jahrgang 1978, sitzt in einem gläsernen Besprechungsraum im Erdgeschoss. Als Gast muss man seinen Ausweis vorzeigen, der Pressesprecher ist ebenfalls anwesend - das ist die Voraussetzung, sonst wird dem Interviewwunsch nicht stattgegeben. Nimmt man nur dieses Gespräch, so zählt hier einzig der Kunde, Kunde, Kunde. An die zwanzig, dreißig Mal verwendet Höweler diesen Begriff innerhalb einer Stunde - aber es geht um mehr.

Nach dem BWL-Studium arbeitete Höweler zwölf Jahre lang bei einer Unternehmensberatung. Irgendwann hatte er keine Lust mehr, ständig unterwegs zu sein. Er begann, sein Leben zu hinterfragen, wie er erzählt, ergründete, was ihm wichtig sei und welcher Karriereschritt nun kommen müsse. Er wechselte zu Amazon. Vier Jahre lang verkaufte er Mode, dann kam es zum "Bruch", wie es Höweler selbst nennt. Seine Frau und er verloren ihr Baby. In der letzten Schwangerschaftswoche, ein Schock. Als ein Jahr danach ihre Tochter zur Welt kam, nahm sich Höweler ein Jahr Elternzeit. Ein Jahr Pause, in dem ihm klar wurde, dass er nur noch für einen Bereich arbeiten wolle, für den er Leidenschaft empfinde: Musik oder Fußball.

Die Leidenschaft für Musik begann für ihn mit der Techno-Zeit. Er wuchs am Bodensee auf, erkundete zunächst die Clubs in Zürich und Stuttgart. Besuchte, gerade mal 16, 17 Jahre alt, Raves wie Loveparade oder Mayday, begann, sich mit DJs und Bands intensiv auseinanderzusetzen. Kurz: "Ich bin mehr Musikfan als der normale Mainstream-Radiohörer", sagt er. Einer, der täglich bis zu drei Stunden Musik hört. Und als nach seiner Elternzeit eine Stelle bei Amazon Music ausgeschrieben war, bewarb er sich.

Natürlich, Leidenschaft für Musik haben viele. Bei Michael Höweler erkennt man sie an seinem Radius innerhalb der Münchner Musikszene. Er hört sich Konzerte von Newcomern an, besucht regelmäßig den Stammtisch von Münchner Musikmanagern, geht zu Festivals wie der "Manic Street Parade". Dort hat er Marc Liebscher kennengelernt, Manager der Sportfreunde Stiller, aber auch von Paul , Deutsch-Pop-Newcomer. Es folgte ein Besuch eines Konzerts im Bahnwärter Thiel, bei dem Höweler den jungen Sänger persönlich kennenlernte, ein Mini-Konzert von Paul vor der Amazon-Musikredaktion und später im Deutschen Theater vor der gesamten Münchner Amazon-Belegschaft. Höweler - "neugierig, interessiert, umtriebig", wie Liebscher ihn beschreibt - ermöglichte dem Singer-Songwriter einen Auftritt beim Reeperbahnfestival in Hamburg und stellte ihn und seine Single "Nie mehr nach Hause" schließlich im vergangenen Herbst den Amazon-Kunden als "Entdeckung der Woche" vor. Daraus, sagt Marc Liebscher, haben sich "viele gute Dinge" ergeben, von denen einige "jetzt gerade aufgehen".

Ganz schön viel Unterstützung für einen jungen Musiker, der noch nicht einmal bei einer Plattenfirma unter Vertrag steht. Warum tut das Höweler? Hat er ein Herz für junge Musiker? Oder steckt dahinter betriebswirtschaftliches Kalkül?

Zunächst ein Blick auf den Markt: Nach Angaben des Bundesverbands Musikindustrie wurde 2018 erstmals mit digitaler Musik mehr verdient als mit physischen Tonträgern. Downloads und Streaming sind erfolgreicher als Platten und CDs. Laut Jahrbuch wurden 56,7 Prozent des Gesamtumsatzes mit Audio- und Videostreams erzielt. Das sich der Umsatz ins digitale Geschäft verlagert, liegt vor allem am Audio-Streaming, das nun einen Marktanteil von 46,4 Prozent hat - zehn Prozentpunkte mehr als die CD.

Um dieses Geschäft streiten sich eine Reihe von Streaming-Anbietern: Spotify, Apple Music, Amazon Music Unlimited - von diesen drei großen Anbietern liegt Amazon in Deutschland auf Platz zwei. Genaue Zahlen liegen nicht vor, das Unternehmen erteilt generell keine Auskunft - nicht über die Anzahl der Streamingkunden, nicht mal über die Größe seiner Musikredaktion, die - die einzige Information - so groß wie ein kleines mittelständisches Unternehmen sein soll. Menschen mit Musik- und Radioerfahrung arbeiten hier, zuletzt ist auch Henning Rümenapp, Gitarrist der Guano Apes, in führender Position dazugestoßen. Die Aufgabe der Mitarbeiter: Playlists erstellen, neue Musik entdecken, Künstler vorstellen.

Wie sich Höweler von den Konkurrenten abheben will

Was die Zahl der User betrifft, soll Brancheninsidern zufolge Amazon Music im Vergleich zu anderen Streaminganbietern am schnellsten wachsen. Die Kunden sollen im Schnitt circa acht Jahre älter sein als Spotify-Hörer. Nur ein Viertel der User soll unter 30 Jahre alt sein, bei Spotify sind es mehr als die Hälfte. Ein weiteres Merkmal: Amazon Music profitiert sehr stark von Alexa, jeder vierte gestreamte Song wird bereits über eine Anfrage an den Sprachassistenten ausgelöst. Dieses Gerät geriet kürzlich allerdings in die Kritik, als bekannt wurde, dass auch Mitarbeiter des Konzerns offenbar regelmäßig kontrollierten, welche Sprachbefehle Alexa-Besitzer nutzten. Nicht die ersten Negativschlagzeilen für Amazon.

Aber zurück zur Musik. Bei allen Streaming-Anbietern bekommt der Nutzer mittlerweile nahezu zu 99 Prozent das Gleiche, überall zahlt er gleich viel und er kann hier wie da aus etwa 50 Millionen Songs auswählen. 50 Millionen Songs? Da sitzt man schon mal 285 Jahre, um alles durchzuhören. Wie kann man sich da von den Konkurrenten abheben? An diesem Punkt fängt die Arbeit von Michael Höweler an.

"Wir wollen Musik noch stärker in den Alltag der Menschen integrieren", sagt er. "Unser Ziel ist es, dass noch mehr Musik gehört wird." Und damit dieses Plus an Songs auch über seinen Kanal läuft, möchte er Musik zu einem Erlebnis machen, die Fans näher an die Künstler bringen.

Aktuell will Höweler unter anderem ältere Musikliebhaber gewinnen - bei dieser Zielgruppe haben Streaming-Anbieter generell Nachholbedarf. Gleichzeitig fühlen sich Schlagerkünstler von Anbietern wie Spotify oder Amazon vernachlässigt: Gerade mal 27 Playlists findet man aktuell bei Amazon unter dem Stichwort Schlager - und selbst darunter sind Listen mit Blasmusik und Lieder für die Ballermann-Party. Das zeigt sich auch beim Ranking der Genres. Hier liegt Schlagermusik bei Amazon Music abgeschlagen auf Rang fünf - hinter Pop, Rock, Hip-Hop und Dance.

Das soll sich ändern. Ende Mai hat Amazon Music Deutschland deswegen Räume in der Münchner Fußgängerzone angemietet. Im Pop-up-Store in der Alten Akademie steht Newcomerin Adiama auf der Bühne, schwarze Haare, schwarze Lederjacke mit silbernen Nieten, schwarzes Kleid mit weißen Punkten, schwarze Overknees mit weißem Bund. Auf der weißen Rückwand ist das Wort "Herzstück" zu lesen. Daneben ist ein großer Comic-Frauenmund gedruckt, in den gleichen Farben wie die Lippen ist der Teppich auf der Bühne gehalten.

Der Fan-Andrang ist zu dieser Uhrzeit noch gering, vor der Schlagersängerin feiern hauptsächlich Amazon-Mitarbeiter. Auch Höweler, das blaue Hemd hängt lässig aus der dunkelblauen Hose, wippt vor der Bühne im Takt des Semi-Playbacks. Adiama, 2008 als Sängerin von Heatloverz mit "Freed From Desire" auf Platz 1 der Deutschen-Dance-Charts von Viva, saß bei der Echo-Verleihung direkt neben dem Chef von Amazon Music Deutschland. Ein bisschen Small Talk über die Schlagerwelt, in der die Sängerin nun erfolgreich sein will, ein bisschen Zukunftsmusik - und dann wurde Adiama das Gesicht des Amazon-Schlagerbrandings "Herzstück". Drei Tage haben sie den Store mitten in München gemietet, bis auf Helene Fischer sind nahezu alle deutschen Schlagerstars da, Andrea Berg, Beatrice Egli, mal eine Autogrammstunde, mal eine kleine Show vor ausgewählten Publikum. Nahe am Kunden. Gezahlt haben will Amazon den Sängerinnen für diese Auftritte nichts. Man bietet Kooperationen an, heißt es.

"Wir wollen in jedem Genre Newcomer fördern", sagt Michael Höweler. Natürlich will man möglichst viele Fans zum eigenen Streamingdienst locken, vor allem die junge Zielgruppe. Fans von hartem Deutsch-Rap etwa. Hier bietet Amazon "Level" an - Playlists, exklusive Tracks, Events, auch einen gleichnamigen Auftritt bei Instagram. 112 000 Abonnenten verfolgen exklusive Storys - im Frühjahr wurden etwa die beiden Rapper Lucry und Capital Bra, Deutschlands meistgestreamter Künstler, nach Florenz in ein Luxushotel eingeladen. Das Versprechen für die Follower: "24 Stunden, null Schlaf" - in dieser Zeit sollen die Rapper exklusiv einen Track für Amazon einspielen, alles mit Handkameras eingefangen, inklusive blutigem Rinderfilet, Marmorbad und kitschiger Deckenbemalung. Auch hier angeblich: keine Gage. Rapper, so sagt Höweler, seien zu begeistern, wenn sie sich an etwas Coolem, etwas Neuem beteiligen können. Natürlich, ganz ohne Marketing-Etat geht hier nichts. Am Ende wurde ein Video zum gerade entstandenen Track gedreht, das in den kommenden Wochen erscheinen wird. Kosten sicherlich im fünfstelligen Bereich - für Amazon, eines der wertvollsten Unternehmen der Welt, ist dieser Betrag zu verkraften.

Als Michael Höweler bei Amazon Music Deutschland anfing, war es das Ziel des Streaminganbieters, ein "relevanter Player in Deutschland sein zu können". Und jetzt geht es um mehr - und das ist nicht immer quantitativ zu verstehen. Man müsse nicht immer das Maximum an Streamingzahlen erreichen, sagt Höweler. Wichtig sei auch, bei Menschen Interesse für neue Musik, für frische Musik zu wecken. Und hier kommt wieder die Musikleidenschaft von Höweler zum Vorschein. "Wir wollen Künstler unterstützen", sagt er, und damit gleichzeitig versuchen, "die Fans zu erreichen. Beides hängt zusammen", sagt er. "Wenn wir Künstler fördern, erschließen wir unseren Kunden zugleich neue Musik, das macht alle glücklich." Höweler steht vor seinem Pop-up-Store, blinzelt in die Sonne und lächelt. Bei Vorträgen, etwa beim Reeperbahn-Festival in Hamburg, sagt er dann Sätze wie: "Es ist der beste Job, den ich je hatte."

Auch im Pop-Bereich möchte er fortan regelmäßige Konzerte etablieren, das nächste steht Ende Juni in München an. Wichtig sei es für sein Team, sagt Höweler, "auch etwas in der Heimatstadt zu machen". Später auch in Berlin. Mit den Amazon-Standorten in London und Paris möchte er kooperieren, Bands austauschen zum Beispiel. Some Sprouts etwa. "Die kann man auch in England auftreten lassen", sagt er, hierfür müsste die Band aber, so sein Eindruck nach dem Konzert im Ampere, noch ein bisschen an ihrer Bühnenpräsenz arbeiten. Für München könnte ein Auftritt von Pop-Musiker Malik Harris möglich sein.

Der 21 Jahre alte Deutsch-Amerikaner stammt aus Höwelers Heimatstadt Landsberg am Lech, arbeitet in München mit der Band Cosby an seiner musikalischen Zukunft. "Als ich im Oktober zum ersten Mal seinen Song ,Welcome to the Rumble' gehört habe, war mir von Anfang an klar, dass das ein großes Ding wird", sagt Höweler. Im März machte er Malik Harris zur "Entdeckung der Woche", erst kürzlich wurde der Newcomer von Universal unter Vertrag genommen. Natürlich habe er nicht "wegen uns den Deal bekommen", sagt er. Höweler denkt kurz nach und blickt dabei in den Himmel. Dann sagt er etwas, was deutlich macht, dass es ihm nicht nur um die Kunden geht, sondern auch um die jungen Künstler selbst: "Eventuell haben wir ein kleines Stück weit dazu beigetragen."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusNetflix-Chef Reed Hastings
:"Es wird schwieriger. Und teurer"

Der Netflix-Chef und Mitgründer Reed Hastings über den Boom des Streamings, den Wettstreit um Kreative, die Bedeutung von "Roma" und den Verzicht auf Livesport.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: