Weltkulturerbe: Das ist das Mindeste, was der Viktualienmarkt im Herzen der Stadt als Titel verdient hätte. So denken nicht wenige Münchner, und wohl niemand käme heutzutage auf die Idee, den Komplettabriss des liebevollen Verhaus von Standln und Zeltkonstruktionen zwischen Heiliggeistkirche und Frauenstraße zu fordern. Das war freilich vor einem halben Jahrhundert noch anders, als es ernsthafte Überlegungen gab, quer über den Markt eine Stadtautobahn zu verlegen.
Heute wirkt der Viktualienmarkt wie ein schon immer da gewesenes Wesen mit seinen überbordenden Obst-, Gemüse-, Blumen-, Fisch-, Käse-, Wein-, Fruchtsaft-, Oliven-, und Kräuterauslagen und den dazugehörigen Händlern. Die Brunnen mit den Figuren von Karl Valentin, Ida Schumacher, Liesl Karlstadt und all den anderen erinnern an eine irgendwie gute alte Zeit. Und wer mit Fremden oder Freunden im ewig vollen Biergarten sitzt, mag sich fühlen, als führe gleich der Prinzregent mit der Kutsche vorbei. Kaum verwunderlich, dass jetzt, da der Viktualienmarkt wie auch die drei anderen ständigen Märkte saniert werden soll, der Aufschrei der Bewahrer groß ist.
Doch der Markt als Bild der Beständigkeit ist ein Mythos. Er ist und war in ständigem Wandel, seit er vor 210 Jahren von König Max I. Joseph vom Marienplatz (der damals noch Schrannenplatz hieß) an seinen heutigen Standort verlegt wurde. Dort musste das Heiliggeistspital abgerissen werden, um dem wachsenden Markt Platz zu geben. Auch später änderte sich das Bild des Marktes bis heute in regelmäßigen Abständen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirkten die windschiefen Bretterbuden, die sich zu Dutzenden aneinanderlehnten wie eine illegale Hüttensiedlung in Mexiko City. Die Nordsee-Fischhalle erinnerte in den Dreißigerjahren ein wenig an einen Vorstadtbahnhof, und tatsächlich fuhren hier jahrzehntelang Trambahnen quer über den Platz, bis der sogenannte Gießkannen-Express zwischen Viktualienmarkt und Candidplatz 1960 eingestellt wurde. Bis Ende 1972 durchschnitt auch noch die Reichenbachstraße den Platz.
Und die Marktstandl? Wurden im Jahr 1969 komplett renoviert und saniert. Zum einen zeigt das, dass die Optik des Viktualienmarkts weit weniger historisch ist als oftmals angenommen. Es beleuchtet aber gleichzeitig das Problem: Viele Stände sind marode, ein TÜV-Gutachten bescheinigte den Markthallen München als Hausherrin des Viktualienmarkts im Jahr 2011, dass die Hütten kaum den Hygiene- und Brandschutzbestimmungen genügten. "Da gehört schon was gemacht", sagt ein Gemüsehändler, der nicht namentlich in die Zeitung will. Der Vorbau vieler Hütten ist nur noch notdürftig von Stangen zusammengehalten, im Winter zieht es, im Sommer ist es oft brütend heiß.
"Die Stadt hat doch Geld, jetzt soll sie halt endlich was tun", sagt der Mann. Ein anderer hat durchaus Verständnis für die Gratwanderung des Kommunalreferats zwischen behutsamer Sanierung und Neubau der Stände. "Ich denke, es wird für die Stadt schwierig: Was macht man, und was lässt man bleiben? Wenn sie zu sehr auf unsere Wünsche hören - dann bauen sie womöglich bei einem Händler rosa Kacheln ein, nur weil das einer will." Ein dritter winkt ab bei der Frage, wie der Markt saniert werden soll: "Im Grunde sollen's halt machen, wie sie's wollen." Bislang wollte keiner der Verantwortlichen in der Stadt Konkretes sagen - zu groß ist offenbar die Angst vor der Wut in der Bevölkerung, sollte der Viktualienmarkt neu aufgebaut werden.