Fotografie:Land des Stillstands und der Stärke

Lesezeit: 2 min

Die Menschen auf ihren Porträts lernte Maude Grübel gut kennen. (Foto: Maude Grübel)

Verbrannte Wälder, menschenleere Straßen und eindringliche Porträts - Maude Grübels Fotoserie "Jardin d'essai" im Stadtmuseeum zeigt einen sehr persönlichen Blick auf Algerien.

Von Enna Kelch

Dort steht ein Mann, den Blick gesenkt, die Arme baumeln kraftlos den Körper hinunter, dem Meer hat er den Rücken zugekehrt. Vermutlich steht er knöcheltief im ruhigen Wasser, dessen sanfte Wellen sich wie feine Seidentücher übereinander schmiegen und in der Ferne melancholisch verblassen. Aber das offenbart das Foto nicht.

"Stillstand" beschreibt Maude Grübel ihren ersten Eindruck, den sie damals von Algerien hatte, das sie dann für ihre Fotoserie viele Male besuchen sollte. "Aber auch Stärke" schiebt sie mit gesenkter Stimme nach. Ebenso poetisch wie die Bildsprache ihrer Arbeiten ist auch die nachdenkliche Stille, in der Grübel scheinbar jedes Wort, das ihr zu ihrer Zeit in Algier über die Lippen gleitet, bedacht und sorgfältig wählt.

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In ihrer Fotoserie "Jardin d'essai", die npch bis 7. Januar im Forum 056 des Münchner Stadtmuseums als Kabinettausstellung präsentiert wird, ergründete Maude Grübel Algerien. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten ist zumeist die eigene Biografie. Grübel kam in München zur Welt. Ihr Vater Deutscher, die französische Mutter wurde in Tunesien geboren. Und auch Tunesiens Nachbarland Algerien verbindet eine konfliktreiche Vergangenheit mit der französischen Republik: eine Geschichte der Kolonialisierung, des Krieges und des Kampfes für die Unabhängigkeit, der Jahrzehnte der Verdrängung und Tabuisierung folgten.

In über fünf Jahren reiste Grübel neun Mal in das nordafrikanische Land - mit einem tiefgehenden Bedürfnis, seine Geschichte zu durchdringen. Das erste Mal in Begleitung eines Freundes und fortan allein. Der Mann am Meer auf dem analogen Druck war ihr erster Kontakt. Er arbeitet als Chauffeur, fuhr schon Historiker und Historikerinnen, kennt die verborgene Geschichte der Stadt Algier und bot Grübel an, sie zu begleiten.

Nur auf den ersten Blick erwecken Maude Grübels Werke den Anschein des nüchtern Dokumentarischen. (Foto: Maude Grübel)

Die Menschen auf ihren Porträts lernte sie gut kennen. Dazu zeigt die Schau auch dokumentarisch einige Stationen ihrer Reise, wie einen leeren Fußballplatz vor einem Mehrfamilienhaus in Algiers traditionellem Arbeiterviertel Bab El Oued, das 1962 zum Schauplatz einer Schlacht zwischen französischer Armee und französischen nationalistischen Terrororganisation wurde. Nur auf den ersten Blick erwecken ihre Werke den Anschein des nüchtern Dokumentarischen. Bei genauerem Hinschauen geben sich ihre verschleierten Rätsel und Fragen zu erkennen. Fragen, die Grübel mit ihrer Arbeit ans Licht bringt, ohne eine Antwort zu verlangen.

"Meine Fotografien zeigen meinen persönlichen Blick, auf das Zeitgenössische und die Beziehung zwischen der inneren und äußeren Umgebung", beschreibt Grübel ihre Serie "Jardin d'essai", deren Name Bezug auf den botanischen Garten in Algier nimmt, eines der frühesten Projekte der Franzosen. Denn: "Ebenso, wie ein botanischer Garten Pflanzen sammelt und besitzt, hat auch das Fotografieren etwas mit Sammeln und Besitzen zutun. So habe ich versucht, meinen Platz in diesem Land, in diesem Leben, in dieser Welt zu finden, und habe meinen eigenen Garten angelegt."

FORUM 056, Maude Grübel, Jardin d'essai: Münchner Stadtmuseum, bis 7. Jan. 2024, dienstags bis sonntags 10 - 18 Uhr, www.muenchner-stadtmuseum.de

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