Kunst:Ansichten eines Weltenforschers

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Mit "Gründe trösten nicht" erforscht Alexander Kluge Regeln für das Weinen. Die Bildtafel ist Teil der Ausstellung "Wurzelkonsonant - M wie Mensch". (Foto: Alexander Kluge/Knust Kunz Gallery Editions)

Die Ausstellung "Wurzelkonsonant - M wie Mensch" von Alexander Kluge in der Galerie Knust Kunz gewährt Einblicke in seine Gedankenwelt.

Von Evelyn Vogel

Zugegeben: Es klingt zunächst nicht nach einem Kompliment, wenn man bei einem Philosophen den Klang seiner Worte vor deren Inhalt lobt. Doch wer Alexander Kluge sprechen hört, weiß sofort warum. Dass diese bewegte, helle, klare und auch eindringliche, ja bestimmte Stimme die eines 90-Jährigen sein soll, überrascht einfach. Keine zwei Wochen ist es her, dass der Filmemacher, Fernsehproduzent, Schriftsteller, Drehbuchautor, Philosoph und Rechtsanwalt Alexander Kluge, der am 14. Februar 1932 in Halberstadt geboren wurde, diesen runden Geburtstag feiern durfte. Das öffentliche Bild vor allem der bundesrepublikanischen Gesellschaft wäre ein anderes ohne das Schaffen dieses Multitalents und scharfsinnigen Chronisten unserer Zeit. Und als ob die genannten Professionen nicht schon genug wären, um ein Leben auszufüllen, fügte er seinen verschiedenen künstlerischen Aktivitäten gerne auch noch die des Ausstellungsmachers und Bildenden Künstlers hinzu.

Derzeit ist in der Galerie von Knust Kunz in der Ludwigstraße eine Einzelausstellung mit Werken von Alexander Kluge zu sehen, die den ominösen Titel trägt "Wurzelkonsonant - M wie Mensch", ergänzt durch den Untertitel "Bewegtbild (Film) und seine Anker (Einzelbild & Text)". Es sind Werke, in denen Kluge ausgehend von einem Bewegtbild (der alte Filmemacher Kluge) einen Anker wirft und damit nichts weniger als die Zeit anhält. Denn, so Kluge, die Kamera sei "ein Lichtfresser", die lange Zeitstrecken habe, um die Bewegungen des Lichts einzufangen. "Sie zeichnet auf, was an Eigensinn und Turbulenz, für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar, im Licht steckt."

Um diesen verborgenen Eigensinn des Lichts sichtbar zu machen und wiederzugeben, hält er ein Einzelbild von 1/48-stel Sekunden auf Aluminiumdruck fest. Fügt zuvor durch Doppelbelichtung oder digital auf die vorhandene Belichtung weitere Bilder hinzu. So entstehen Mehrfachbelichtungen, in denen scharf konturierte Formen auf fließenden Bildverläufe treffen wie in "Gehirnzelle in städtischer Umgebung" oder "Gründe trösten nicht". Mitunter fügt er weitere Materialien hinzu, wie in der Arbeit "Anatomie eines Kentauren", bei der er mit Leinwandabschnitten und -resten, der sogenannten Elefantenhaut, seines langjährigen Freundes Anselm Kiefer arbeitet. Mitunter überführt er auf Monitoren das Nacheinander in ein Neben- und Miteinander. Oder er legt Strukturen über die Motive, als ob er die Individuen - Mensch wie Tier - und letztlich nichts weniger als die ganze Welt ausloten wollte.

Eine Welt, die er über viele Jahrzehnte mit seiner Kamera einfing - einer Arri Jahrgang 1962. Ein Koloss, deren Präsenz in der Ausstellung daran erinnert, dass die Anfangsjahre des 90-jährigen Kluge tatsächlich in einer anderen Zeit lagen. Aber Verharren oder Ausruhen, das ist nicht sein Ding. Und so überführt er weiterhin Ideen in Texte und Bilder und erzählt aus seiner Gedankenwelt, dass es eine wahre Freude ist, ihm zuzuhören. Seine Tafeln, nicht selten seriell angelegt, formulieren, so heißt es in der Ausstellung, "die Präsenz des Bildens, Montierens, Denkens, Verknüpfens eines Lebendigen". Seien nichts weniger als eine "Vernetzung der Augenhaut, zur Vervielfältigung der Verblüffung durch Auflichtung, Aufschichtung". Dass dieser "Lebendige" Alexander Kluge ist, steht außer Frage.

Alexander Kluge: Wurzelkonsonant - M wie Mensch, Knust Kunz Gallery Editions , Ludwigstraße 7, bis 15. März

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