90 Jahre Heckscher Klinikum:Es begann mit 500 000 Reichsmark

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Einst war die Heckscher Klinik die erste Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bayern. In der Nazizeit bewahrte die Leiterin zahlreiche Kinder vor dem Tod. Heute ist das Klinikum eines der größten seiner Art in Deutschland.

Von Inga Rahmsdorf

Kinder, die unter Depressionen leiden, Mädchen und Jungen, die das Essen verweigern, Jugendliche, die an Internetsucht leiden: Es gibt viele psychische Erkrankungen, mit denen sich Kinder, Jugendliche und Familien an das Heckscher Klinikum wenden. Und ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. "Bestimmte Krankheitsbilder haben zugenommen", sagt Franz Joseph Freisleder, ärztlicher Direktor, der seit 33 Jahren an der Klinik arbeitet. Zugleich sei die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für diese Probleme deutlich gewachsen. Krankheitsbilder wie Autismusspektrumsstörungen werden zudem heute besser erkannt. Und: "Die Schwellenängste vor der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind geringer als früher."

Im Jahr 2018 hat die Heckscher Klinik an all ihren Standorten insgesamt 1700 Patienten stationär behandelt. Zehn Jahre zuvor waren es noch 1000. Im ambulanten Bereich wurden 2008 insgesamt 8000 Kinder und Jugendliche betreut, zehn Jahre später waren es 13 600. Neben den psychotherapeutischen Angeboten erhalten die Patienten auch Musik-, Ergo-, Kunst-, Sport- und Bewegungstherapien. Außerdem werden sie während ihres stationären Aufenthaltes schulisch betreut.

Die Heckscher Klinik feiert an diesem Montag ihr 90-jähriges Bestehen in München. Als sie 1929 in Schwabing gegründet wurde, war sie die erste Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bayern. Auch wenn sie damals noch nicht so genannt wurde, weil der Fachbereich mit eigenen Störungsbildern und Diagnosen sich erst in den folgenden Jahrzehnten entwickelte. Benannt ist die Klinik nach dem Unternehmer Carl-August Heckscher, einem in die USA ausgewanderten jüdischen Deutschen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er in München ein Heim für Soldaten finanziert, die an neurologischen Schäden litten. Der Chefarzt der Einrichtung, Max Isserlin, überzeugte Heckscher schließlich davon, noch 500 000 Reichsmark zu spenden, um auch eine Klinik für psychisch auffällige Kinder und Jugendliche zu errichten.

Wie Maria Weber in der Nazizeit Kinder vor dem Tod bewahrte

So konnte 1929 in Schwabing unter der Leitung von Isserlin die Heckscher Klinik eröffnet werden. Kurz nach Kriegsbeginn floh der jüdische Arzt vor den Nationalsozialisten nach England. Seiner Nachfolgerin, Chefärztin Maria Weber, gelang es in den folgenden Jahren, die jungen Patienten der Heckscher Klinik vor den Nationalsozialisten zu retten, die psychisch, geistig und körperlich kranke Menschen ermordeten. Weber gab die ihr anvertrauten Kinder alle als "bildungsfähig" aus und bewahrte sie dadurch vor dem Tod.

Heute ist das Heckscher Klinikum eines der größten Krankenhäuser seiner Art in Deutschland und gehört zum Klinikkonzern des Bezirks Oberbayern (kbo). An zehn Standorten bietet das Klinikum Ambulanzen für Kinder und Jugendliche sowie insgesamt 200 vollstationäre und 84 teilstationäre Behandlungsplätze, davon insgesamt 111 in München. Die jüngste Einrichtung wurde im März 2019 in Haar eröffnet, eine neue Spezialabteilung für Entwicklungsstörungen. Eine große Herausforderung ist der Mangel an Fachkräften. Die neue Einrichtung in Haar kann nur zu zwei Drittel belegt werden, weil Personal fehlt. "Wir könnten auf der Stelle dort 30 weitere Pflegekräfte einstellen", sagt Anton Oberbauer, Geschäftsführer des kbo-Heckscher Klinikums.

Der jährliche Kampf

Auch wenn das Klinikum in den vergangenen Jahren in neue Standorte investiert hat und keine Verluste schreibt, spüren die Mitarbeiter den ökonomischen Druck, der besonders in der Kindermedizin in Deutschland enorm ist, weil die Leistungen von den Krankenkassen nicht aufwandsgerecht vergütet werden. "Wir müssen alle Register ziehen, um noch kostendeckend arbeiten zu können", sagt Geschäftsführer Oberbauer. "Die Schere geht immer weiter auseinander zwischen dem finanziertem und dem tatsächlichen Aufwand."

Das Klinikum müsse zwar keine Gewinne einfahren, dürfe aber auch keine Verluste schreiben. Und das werde immer schwieriger. "Wir kämpfen jedes Jahr", so Oberbauer. Und viele Maßnahmen seien nur noch durch Spenden realisierbar. "Kindermedizin braucht eine bessere Finanzierung von den Krankenkassen", fordert Oberbauer. Der personelle Aufwand für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen sei sehr viel größer als für Erwachsene, sagt Freisleder. Zudem sei die Personalverordnung, die den Betreuungsschlüssel vorschreibt, veraltet und reformbedürftig.

Der Hauptsitz des Klinikums in München ist 2003 von Schwabing nach Obergiesing umgezogen. Das Besondere an dem Standort ist, dass die Klinik verpflichtet ist, alle psychiatrischen Notfälle aus Oberbayern stationär aufzunehmen. Dafür muss rund um die Uhr genug Personal vorgehalten werden. Es komme an manchen Wochenenden vor, dass bis zu 25 Kinder und Jugendliche in der Notfallambulanz ankommen, so Freisleder. Ganz wichtig sei dafür auch ein Netzwerk, betont der ärztliche Direktor. Es gebe eine sehr gute Zusammenarbeit mit Polizei, Clearing-Stellen, Jugendämtern, niedergelassenen Psychotherapeuten, Schulen und anderen Institutionen. Mit Blick auf die Zukunft der Klinik sagt der ärztliche Direktor: "Ich würde mir wünschen, dass wir auch künftig auf einem guten Niveau weiterarbeiten können." Es sei schön zu sehen, wie vielen Kindern und Jugendlichen sie in den vergangenen Jahrzehnten langfristig weiterhelfen konnten. "Es ist wirklich ein toller Beruf", sagt Freisleder.

© SZ vom 30.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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