Festival:Für alle

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Das Festival 375 Hektar erobert mit Theater und Musik die Ränder des Englischen Gartens

Von Egbert Tholl, München

Wieso musste es jetzt Herbst werden? Ende Juni verkündete Kunstminister Bernd Sibler, dass in diesem Sommer unter dem Motto "Bayern spielt" überall draußen Theater, Musik, ja überhaupt Kultur stattfinden könne, da sei man ganz offen und gebe Geld, schließlich brauche die Kunst Ersatz für die Monate des Eingesperrtseins. Implizit war mit diesem Draußen auch der Englische Garten gemeint.

Wenn ein Minister so etwas sagt, sollte man ihn ernst nehmen, was Till Hofmann auch tat und sich an die Planung für ein Theaterfestival am letzten Augustwochenende machte. Im Englischen Garten. International. Nun sind aber zwei Monate Vorlauf für ein solches Vorhaben nicht gerade üppig, Corona schränkt das Reisen immer noch ein, und schließlich gibt es noch die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung. 1789 schenkte Kurfürst Karl Theodor den Münchner Bürgerrinnen und Bürgern den Englischen Garten, heute sagt die dem Finanzministerium angegliederte Behörde, was dort passieren darf und was nicht.

Eine Bühne mitten auf die Wiese zu stellen, ist für die Schlösser- und Seenverwalter ein Graus, aber ganz so sperrig wie man befürchten musste, blieben sie dann doch nicht. Und so fand dieses Wochenende doch noch das Festival "375 Hektar" statt - der Name bezieht sich auf die Größe des Englischen Gartens. Von den 375 Hektar konnten zwar nur ein paar Quadratmeter am Rande des Gartens bespielt werden, aber diesen Vorgang muss man sich als Initiation denken. Im kommenden Jahr kann man vom Rand ins Innere drängen, denn selbst das, was heuer bei Kälte, Regen und eben nur an etwas versteckten Orten möglich war, war eine Verheißung. Und der Regen war fast wurscht.

Die Eulenspiegelei auf der Bühne neben dem Seestadl schwappt elegant ins Heute

Das TamS etwa bespielt eine Bühne neben dem Seestadl, etwas zu versteckt, um viel Laufkundschaft zu kriegen, aber noch deutlich sichtbar genug. "Till Eulenspiegel", inszeniert von Lorenz Seib, kann dort mit seiner ganzen versponnenen Poesie vor viel mehr Menschen gespielt werden, als es derzeit im TamS möglich wäre. Und die Menschen kommen, gieren, harren in der Kälte aus, freuen sich. Leo Gmelch unterstützt die von vier ungeheuer munteren Darstellenden erzählte und erspielte Geschichte musikalisch, die Eulenspiegelei schwappt elegant ins Heute, was ist denn schon Wahrheit, wenn man sie leichter erfinden und glauben als ihr auf den Grund gehen kann. Die Vier auf der Bühne erschaffen 100 Figuren in Windeseile, es ist ein großes, kluges Vergnügen.

An allen Spielorten wird man sorgsam von freundlichstem Personal geleitet, geführt, sitzt man am Platz, nimmt man die Maske ab. Danach auf dem Weg zum Haus der Kunst schallt von der anderen Seite des Sees Musik herüber, sie kommt aus dem Park der Katholischen Akademie, der genauso bespielt wird wie der Garten der Seidlvilla oder eine Bühne am Rumfordschlössl. So muss es sein in Zukunft, nur noch viel mehr, was man in beiläufiger Neugier entdecken kann. Auf der Terrasse vom Haus der Kunst gibt es tolle DJ-Musik zu hören, die Leute sitzen, stehen auf, legen die Maske zum Tanzen an und man fragt sich, wieso das nicht schon viel früher möglich war - dann hätte man die nächtlichen Exzesse in der Türken- und Schellingstraße eingedämmt. Am nächsten Tag spielt dort Sophia Kennedy ihre hypnotischen Songs, Caitlin van der Maas gibt mit einer umwerfend charmanten Lesung einen Ausblick auf ihr Stück, das am 7. Oktober im Schwere Reiter herauskommt. Und am Nachmittag kann man noch bei Pepe Arts vorbeischauen; die Münchner Cirque-Nouveau-Truppe verblüfft mit unfassbaren körperlichen Kunststücken, nur was sie damit erzählen wollen - Künstlerdasein im Lockdown -, das ist noch ein wenig ausbaufähig. Hier, am Bolzplatz im südöstlichen Eck des Gartens, bleiben Leute stehen, Zaungäste, denen der Kaffee im Becher kalt wird. Weil sie gebannt zuschauen.

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