Ukraine:Ein Kämpfer, durch und durch

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Im Ernstfall will Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko auch zur Waffe greifen. (Foto: Sergei Supinsky/AFP)

Vitali Klitschko hat als Boxer sehr oft gewonnen. Als Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew aber weiß er, was es alles zu verlieren gibt.

Von Sonja Zekri

Ein Vergleich, so naheliegend wie geschmacklos: dass dies der Kampf seines Lebens ist. Vitali Klitschko, ehemaliger Schwergewichtsboxer, Ex-Weltmeister, inzwischen 50 Jahre alt und Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, macht physisch immer noch Eindruck. Mit über zwei Metern von eindrucksvoller Größe, immer noch muskulös, zwei Tage nach dem Angriff auf die Ukraine unrasiert, aber noch immer ruhig.

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Am Freitag sind Russlands Panzer in Kiew eingerückt, der Fall der Stadt ist nur eine Frage der Zeit. Und Kiews Bürgermeister richtet Appell um Appell an die Welt, an Europa, an Deutschland. Mit seinem Bruder Wladimir, 45, rief er in einer Instagram-Botschaft die internationale Gemeinschaft am Donnerstag dazu auf, diesen Krieg, "der keine Gewinner kennt, sondern nur Verlierer", nicht geschehen zu lassen: "Unterstützen Sie die Ukraine. Dankeschön."

"Ich hab keine Wahl, ich muss es tun"

In den sozialen Medien hatte sich Bürgermeister Klitschko immer wieder bei Schießübungen gezeigt. Auf die Frage eines Reporters des britischen Frühstücksfernsehens "Good Morning, Britain", ob er in Kiew bleiben, ob er ebenfalls kämpfen werde: "Ich habe keine Wahl, ich muss es tun. Ich werde kämpfen." Am Freitag twitterte Klitschko das Bild eines brennenden Hauses, in der Koschitza-Straße 7a, das von russischen Raketen beschossen worden war. Sein Bruder Wladimir war der Reservistenarmee der Ukraine beigetreten.

Die Reaktionen im Netz zeigten, je nach Absender, Bewunderung und Häme für den Bürgermeister. Einige beglückwünschten die Kiewer zu ihrem kampferprobten Stadtoberhaupt. Die Parteigänger des russischen Angriffs wiederum beschimpften Klitschko ähnlich unflätig, wie sie auch gegen den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij hetzen, als Nazi - Klitschko ist wie Selenskij Sohn von Holocaust-Überlebenden -, als korrupt, dem Untergang geweiht.

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Der ukrainische Präsident hat in der Nacht des Angriffs die vielleicht beste Rede seines Lebens gehalten. Aber es ist Wladimir Putin, der auf die bange Frage, ob es eine freie, selbstbestimmte Ukraine geben kann, jetzt die Antwort gibt.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Schwergewichtschampion zu werden, sei deutlich leichter als Kiew zu regieren, hatte Klitschko vor ein paar Jahren kokett gesagt. Damals ging es um neue Straßen, illegale Kiosks, kommunale Dienstleistungen und - heute klingt es paradiesisch - die schlimme Parkplatzsituation.

Die politische Karriere des 50-Jährigen kam nicht sogleich in Schwung

Vitali Klitschko, geboren 1971 in Belowodsk in der damaligen kirgisischen Sowjetrepublik, promoviert in Sportwissenschaften, verdiente sich in seiner Jugend Geld als Reiseführer durch Kiew. Seine Karriere als Boxer soll ihm ein Vermögen von 60 Millionen Euro eingebracht haben, nicht nur durch Preisgelder, sondern vor allem durch Werbeverträge. Seinen letzten Kampf bestritt er im September 2012.

Politisch war er kein Senkrechtstarter. Zweimal, in den Jahren 2006 und 2008, hatte er sich vergeblich um das Bürgermeisteramt beworben. 2012 war er schließlich als Abgeordneter seiner Partei Udar (ukrainisch für "Schlag"), der Ukrainischen Demokratischen Allianz für Reformen, ins Parlament eingezogen. Nach den Protesten auf dem Maidan und dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch kandidierte Klitschko sogar kurzzeitig für das Präsidentenamt, unterstützte dann aber Petro Poroschenko. Kurz darauf wurde er mit 57 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister von Kiew gewählt.

In den Augen der russischen Führung dürfte Bürgermeister Klitschko zu jener angeblichen "Junta" gehören, von der Wladimir Putin die Ukraine zu befreien vorgibt. Sein Ausharren in der belagerten Stadt gehört zu den heroischen Momenten dieses Krieges, wie sein Kampf gegen Lennox Lewis zu den unvergesslichen Szenen der Boxgeschichte gehört. Im Staples Center in Los Angeles kämpfte der krasse Außenseiter Klitschko gegen Lennox Lewis, nach der sechsten Runde war sein Gesicht von einem Riss über dem Auge blutüberströmt. Als der Ringrichter abbrach, war Klitschko außer sich. Er wollte weiterkämpfen.

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