Mal angenommen, man könnte die anarchische Energie eines Punkrockers mit der Disziplin und der Ausdauer eines Ruderers zusammenbringen, einen ausgeprägten Sinn für soziale Gerechtigkeit mit raumfüllendem Charisma, oratorische Qualitäten im Rang eines Kennedys mit der im Alter von 49 Jahren exakt richtigen Mischung aus Erfahrung und Frische - wäre das nicht ein nahezu idealer amerikanischer Politiker? Ja klar, müsste die Antwort lauten, versehen mit dem Hinweis, dass es eine solche Person in diesem Land nicht gibt. Doch es gibt sie. Sie heißt Beto O'Rourke und hat soeben verkündet, bei der Gouverneurswahl in Texas den republikanischen Amtsinhaber Greg Abbott herauszufordern.
2019 trat der Texaner als demokratischer Präsidentschaftskandidat an
O'Rourke tritt für die Demokratische Partei an, die im konservativen Texas traditionell kein Bein auf den Boden bringt. Allerdings hat er 2018 gezeigt, was möglich sein könnte, als er sich um einen Sitz im Senat bewarb und dem als unschlagbar geltenden texanischen Republikaner Ted Cruz nur knapp unterlag. Der ehemalige Präsident Barack Obama zeigte sich so beeindruckt von O'Rourkes Wahlkampf, dass er ihn zu einem Gespräch einlud. Womöglich, weil er in Texas einen potenziellen Nachfolger gesehen hatte.
Seit diesem Wahlkampf ist O'Rourke, obwohl er verlor, landesweit bekannt. Er hatte 2019 versucht, aus dieser Bekanntheit Kapital zu schlagen, indem er sich als demokratischer Präsidentschaftskandidat bewarb. Aus diesem Rennen stieg er nach wenigen Monaten aus und unterstützte den späteren Sieger Joe Biden.
Seither war es auf nationaler Ebene still um O'Rourke geworden, was daran lag, dass er seine politische Zukunft plante. Er hörte sich um in der Partei. Er sondierte. Nun hat er sich zu einem mutigen Schritt entschlossen.
Hätte O'Rourke einfach auf die politische Bühne zurückkehren wollen, wäre es ein Leichtes gewesen, sich erneut als Abgeordneter für das Repräsentantenhaus in einem der städtischen und damit eher demokratischen Wahlkreise in Texas zu bewerben. Er saß bereits von 2013 bis 2019 im Repräsentantenhaus, war aber nicht zur sicheren Wiederwahl angetreten, weil er Cruz herausforderte. Er wollte das Unmögliche schaffen, nämlich einen republikanischen Amtsinhaber in Texas zu besiegen. Diesen Versuch unternimmt er nun erneut.
Immer mehr Liberale ziehen in den Staat
Die meisten Klischees über Texas sind wahr. Pick-up-Trucks, Waffenliebe, das ganze Programm. Zugleich aber wächst die Bevölkerung in Städten wie Austin, Houston oder Dallas, und die Zugezogenen sind zu einem großen Teil Menschen mit hispanischem Hintergrund und Liberale von der Westküste.
Seit Jahren hoffen die Demokraten daher, Texas aufgrund des Wandels der Bevölkerung zu ihren Gunsten drehen zu können. Bisher vergeblich. Sollte es O'Rourke gelingen, das Gouverneursamt bei den Wahlen im November 2022 zu erobern, wäre das ein Signal.
Dass der Wahlkampf ein Jahr lang dauern wird, könnte O'Rourke zum Vorteil gereichen. Als er sich 2012 erstmals für das Repräsentantenhaus bewarb, klopfte er an 16 000 Türen von potenziellen Wählern. Er ist diesbezüglich - das hat ihn das Rudern gelehrt - unermüdlich.
Bis Mitte zwanzig spielte er Bassgitarre in diversen Punkbands. Aus dieser Zeit stammt auch eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer, die in diesem Wahlkampf wieder eine Rolle spielen dürfte. Das Rudern entdeckte er als Ausgleich und Möglichkeit, seine Energie zu kanalisieren. Heute präsentiert sich O'Rourke als Familienmensch, als Ehemann von Amy Hoover Sanders und Vater von drei Kindern.
Sollte er erneut verlieren, ganz gleich, wie knapp, ist seine politische Karriere mit ziemlicher Sicherheit vorbei. Sollte er gewinnen, könnte es gut sein, dass Barack Obama das Gespräch von 2018, in dem es um O'Rourkes politische Zukunft auch auf nationaler Ebene ging, wird fortsetzen wollen.