Der Bundespräsident hat seine erste Impfung gegen Corona erhalten, und man könnte meinen, eine weitere Nebenwirkung des ominösen AstraZeneca-Vakzins sei politische Enthemmung. In seiner Fernsehansprache zum zweiten Ostern in der Pandemie wählt Frank-Walter Steinmeier, der des staatstragenden Schwurbelns sonst durchaus mächtig ist, deutliche Worte: Er konstatiert eine demokratische Vertrauenskrise, rügt die politisch Verantwortlichen für Fehler und fordert nach den jüngsten Querelen, sie sollten sich zusammenraufen. Es ist ein Rüffel, von dem sich die Kanzlerin genau so gemeint fühlen darf wie ihr längst in den Wahlkampfmodus übergetretener Koalitionspartner und sämtliche Ministerpräsidenten, mit Kanzlerambitionen oder ohne.
Frank-Walter Steinmeier hat sich, wie es die Tradition des Amtes will, selten in die Tagespolitik eingemischt: Einmal musste er, um aus einem Bundestagswahlergebnis auch eine Regierung entstehen zu lassen; einmal mahnte er auf dem Höhepunkt des Union-Streits um die Migration zur Mäßigung.
Die Intervention jetzt ist besonders weitreichend, weil Steinmeier sich in einer Krise zu einem Anwalt der Bürger macht und sich mit ihnen über die Politik empört. Das ist legitim, aber ein schmaler Grat, auf dem schon Vorgänger wie Richard von Weizsäcker oder Horst Köhler nicht immer trittfest waren. Indem er das Ende seiner Rede nutzt, auch die Bürger in die Verantwortung für das große Ganze zu nehmen, tappt Steinmeier unterm Strich nicht in die Falle eines leichtfertigen Populismus. Aber stellenweise ist es ganz schön knapp.