Appell des Bundespräsidenten:"Rauft euch zusammen!"

Fernsehansprache Bundespräsident Steinmeier

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während der Aufzeichnung der Fernsehansprache zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie im Schloss Bellevue.

(Foto: Sandra Steins/dpa)

Frank-Walter Steinmeier rügt die Regierenden: Ihr Streit und ihre Fehler hätten in der Pandemie zu einer Vertrauenskrise geführt. Auch für die Bürgerinnen und Bürger hat er einen Rat.

Von Nico Fried, Berlin

Der Bundespräsident braucht nur wenige Sätze, um sich abzusetzen von dem, was die Deutschen sonst so hören: "Nach 13 Monaten helfen Durchhalteparolen nicht weiter", sagt Frank-Walter Steinmeier laut Redemanuskript in einer Fernsehansprache zur Corona-Pandemie, die am Samstagabend in mehreren Sendern ausgestrahlt werden soll. All die Appelle zu Geduld und Vernunft und Disziplin würden "stumpf in diesen zermürbenden Zeiten", so das Staatsoberhaupt. Ein Gefühl von Ohnmacht und Frust mache sich breit, "und so kommt zu den Sorgen über Gesundheit, Schule, Arbeit, Wirtschaft eine weitere Dimension hinzu: eine Krise des Vertrauens".

Es ist nach der Premiere an Ostern vor einem Jahr Steinmeiers zweite Fernsehansprache zur Corona-Pandemie, aber die erste in einem so kritischen Ton: Eine Vertrauenskrise - das ist ein bemerkenswerter Befund des Bundespräsidenten, der sich traditionell bei der Beurteilung von Tagespolitik eher zurückhält. Steinmeier begründet es so: Vertrauen beruhe in der Demokratie "auf einer sehr fragilen Übereinkunft zwischen den Bürgern und ihrem Staat: Du, Staat, tust deinen Teil; ich Bürger tue meinen". Und im Weiteren legt der Bundespräsident ziemlich unmissverständlich nahe, dass ein Vertragspartner dieser Übereinkunft nicht so recht geliefert hat.

"Streit darf nicht zum Selbstzweck werden."

"Sie, die Bürgerinnen und Bürger, tun in dieser historischen Krise Ihren Teil!", sagt Steinmeier. "Sie leisten viel, und Sie verzichten auf viel." Bei manchen gehe es im Lockdown längst nicht mehr um verlorenes Einkommen, es gehe "um die blanke Existenz". Umso mehr verstehe er "die Ungeduld und den Frust über die Rückschläge der vergangenen Monate", so der Bundespräsident. Es sei viel getan worden und viel gelungen. "Trotzdem: Es gab Fehler - beim Testen, beim Impfen, bei digitalen Lösungen."

Die nächsten Wochen würden noch einmal "herbe Einschränkungen fordern", so Steinmeier. Aber so wie die Pandemie den Bürgern viel abverlange, so dürften sie auch viel von der Politik verlangen. "Ihre Erwartung an die Regierenden ist klar: Rauft euch zusammen!" Unverblümt nimmt Steinmeier Bezug auf die jüngsten Querelen zwischen Bund und Ländern, zwischen Kanzlerin und einzelnen Ministerpräsidenten, aber auch zu Rivalitäten zwischen Regierungschefs, die vielleicht noch Ambitionen für die Zukunft haben.

Weil es keinen Königsweg aus der Pandemie gebe, sei demokratischer Streit nötig. "Aber der Streit darf nicht zum Selbstzweck werden", so Steinmeier. "Bund oder Land, Partei oder Koalition, Umfragen rauf oder runter, das darf jetzt nicht die Hauptrolle spielen." Man brauche Klarheit und Entschiedenheit, "wir brauchen verständliche und pragmatische Regelungen, damit die Menschen Orientierung haben, damit dieses Land wieder das aus sich herausholen kann, was in ihm steckt".

"Weder Weltmeister noch Totalversager"

Im zweiten Teil der Ansprache appelliert der Bundespräsident dann an den Gemeinsinn aller Bürger: "Empören wir uns nicht nur über die anderen oder über die da oben", sagt Steinmeier, gerade so, als gehöre er gar nicht zu denen da oben. "Zeigen wir doch nicht ständig, was nicht geht, sondern dass es geht, wenn alle ihren Teil tun." Am Ende sei Vertrauen in der Demokratie "nichts anderes als dies: uns selbst vertrauen".

Eindringlich appelliert Steinmeier, der am Donnerstag im Bundeswehr-Krankenhaus in Berlin selbst seine erste Dosis Astra Zeneca erhalten hat, an die Bürgerinnen und Bürger, sich impfen zu lassen. "Das Impfen ist der wichtigste Schritt auf unserem Weg aus der Pandemie - also nutzen Sie die Möglichkeiten! Machen Sie mit!"

Zum Abschluss seiner Ansprache warnt Steinmeier noch vor zu ausgeprägter Schwarz-Weiß-Malerei: "Vor einigen Monaten, nach der ersten Welle, da wollten wir uns schon mit Genugtuung als Pandemieweltmeister sehen", erinnert der Bundespräsident. Mittlerweile sei die Stimmung ins Gegenteil umgeschlagen. "Ich frage mich: Warum muss es in Deutschland eigentlich immer der Superlativ sein - himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt?" Man sei weder Pandemieweltmeister noch Totalversager. "Wir zweifeln viel, aber wir können auch viel", so Steinmeier. Und darauf komme es nun an.

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