Regierungsbildung:Die Weihnachtskoalition

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Zum letzten Mal auf dem Weg zu Sondierungsgesprächen, immerhin: Olaf Scholz am Freitag in Berlin. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Deutschland könnte tatsächlich eine Regierung aus drei Partnern bekommen, die gemeinsam etwas wollen. Dauert nur noch ein wenig.

Kommentar von Detlef Esslinger

Was für ein Unterschied: Immer wenn Union und SPD ihre jeweiligen Koalitionen vorstellten, merkte man im Grunde all ihren Vertretern an, warum sie das machten - aus Pflichtgefühl. Als am Freitag die fünf Vorsitzenden von SPD, Grünen und FDP sowie der SPD-Kanzlerkandidat vor die Presse traten, strahlten sie aus: Freude, Aufbruch, Gemeinschaftsgefühl. Sollte Deutschland tatsächlich eine Koalition bekommen, die das Land nicht nur verwalten, sondern voranbringen will, die sich als Projekt und nicht nur als Kompromissabarbeitungsmaschine begreift? Ihm fehle die Fantasie, wie seine FDP mit SPD und Grünen zusammenkommen wollte, hatte Christian Lindner im Wahlkampf stets erklärt. Was zwei Wochen vertraulicher Treffen nicht alles ändern können.

Zur Koalition haben sich diejenigen drei Parteien entschlossen, die aus der Bundestagswahl als Sieger hervorgegangen waren; sie alle konnten ihr Ergebnis im Vergleich zu 2017 verbessern. Sie mögen drei Parteien "mit unterschiedlichen Traditionen und unterschiedlichen Sichtweisen" sein, wie es in ihrem Papier zum Abschluss der Sondierungen heißt. Doch der Grund für ihren Sieg war jeweils derselbe: Sie strahlten Tatkraft aus. Dies war der wesentliche Unterschied zu CDU und CSU, die dafür bestraft wurden, dass sie sich viele Jahre auf jenen einzigen Programmpunkt verließen (Angela Merkel), den sie nun nicht mehr hatten. "So wie es ist, kann es nicht bleiben" - noch so ein FDP-Satz aus dem Wahlkampf, der aber auch das politische Lebensgefühl bei Sozialdemokraten und Grünen ausdrückte.

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Veränderung und eine umfassende Modernisierung des Staates versprechen sie: Schon vor dem Eintritt in Koalitionsverhandlungen haben die Ampel-Partner ein Programm umrissen. Der Überblick.

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Wie es ist, kann es nicht bleiben. Aber wie soll's werden?

Was nun in den Koalitionsverhandlungen und sodann immer wieder in der Koalition zu klären bleibt, ist die Frage: Wie soll es denn werden? Hoffnung macht, dass der Auftritt der Sechs und ihr Papier viel Pragmatismus offenbart - was neben dem Umstand, menschlich miteinander zu können, wesentlich für Erfolg ist. Wenn zum Beispiel beim Klimaschutz alle dasselbe wollen, fällt es leichter, gemeinsam Wege zu suchen, als wenn Uneinigkeit schon über das Ziel besteht. Grüne Rigorosität beim Ausbau der Wind- und Solarkraft sowie freidemokratischer Furor beim Abbau von Bürokratie müssen keine Gegensätze sein. Sondern das eine hilft dem anderen.

Wann geht's los? "Vor Weihnachten", Olaf Scholz hat es am Freitag erneut gesagt. Gemessen an der Koalitionsbildung 2017 wäre das rasend schnell, damals dauerte es ein halbes Jahr, bis Schwarz-Rot stand. Gemessen an demokratischen Selbstverständlichkeiten ist das Datum ein Unding: Am 26. Oktober tritt der neue Bundestag zusammen, die Abgeordneten wählen ein Präsidium, doch hernach müssen sie monatelang untätig sein - während, zum Beispiel, die SPD-Umweltministerin trotz abgelaufenen Mandats auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow verhandeln wird.

In mehreren Bundesländern haben die Autoren der Landesverfassung erkannt, dass so etwas eigentlich nicht geht. In Mecklenburg-Vorpommern hat die Wahlsiegerin Manuela Schwesig nur bis zum 23. November Zeit zur Regierungsbildung, würde sie bis dahin scheitern, könnte der Landtag aufgelöst werden. Und in Bayern ist die Landesverfassung noch rigoroser. Artikel 44 legt fest: "Der Ministerpräsident wird von dem neu gewählten Landtag spätestens innerhalb einer Woche nach seinem Zusammentritt gewählt." Andernfalls wird der Landtag aufgelöst. Es ist nicht alles schlecht, was aus Bayern kommt.

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