Sachverständigenrat:Laus im Pelz

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Schon in den 60ern eine Institution: Damals nahm Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (2.v.l.) Ratschläge vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung entgegen. (Foto: Egon Steiner/picture alliance / dpa)

Das Ökonomen-Gremium soll unabhängig von der Bundesregierung arbeiten. Aber es spiegelt auch Zeitgeist und Politik wider - wie bei der neuen Besetzung.

Kommentar von Nikolaus Piper

Der Ausspruch Konrad Adenauers ist in die Geschichte eingegangen: Als Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard Anfang der Sechzigerjahre einen Sachverständigenrat für Wirtschaft einrichten wollte, soll ihn der damalige Bundeskanzler angeblafft haben: "Erhard, woll'n Se sich 'ne Laus in den Pelz setzen?" Will sagen: Ein Politiker sollte sich nicht von Wissenschaftlern ins Geschäft reden lassen.

Auch wenn er es anders ausdrückte - Erhard wollte genau das: Eine Laus im Pelz der Politik, ein Gremium, das durch wissenschaftlich begründeten Rat der Willkür von Entscheidungen entgegentritt und Politikern dabei auch auf die Nerven geht. Er setzte sich schließlich durch. Am 14. August 1963 beschloss der Bundestag einstimmig das Gesetz über den Sachverständigenrat. Anders als der amerikanische Council of Economic Advisors, der direkt dem Präsidenten untersteht, sollte das neue Gremium relativ unabhängig sein. Seine Mitglieder werden zwar von der Bundesregierung berufen, sie können danach aber selbst entscheiden, worüber sie beraten wollen und zu welchen Ergebnissen sie kommen. Zu ihrer Verfügung stehen ein wissenschaftlicher Stab und eine Geschäftsstelle, die - auch dies ein Zeichen der Unabhängigkeit - nicht im Kanzleramt sitzt, sondern beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden. Der Rat soll nicht nur in die Regierung hinein, sondern auch über die Öffentlichkeit wirken. Kein Wunder, dass man die Sachverständigen auch die "Fünf Weisen" nennt.

Zeitgeist, Politik und Ideologien beeinflussen die Ökonomie

Nun ist das mit der Weisheit so eine Sache. Ökonomie ist keine Naturwissenschaft, ihre Ergebnisse sind immer vorläufig und werden von Zeitgeist, Politik und Ideologien beeinflusst. Dem können sich auch die fünf Weisen nicht entziehen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Berufung von zwei neuen Ratsmitgliedern, die das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen hat. Beide sind hoch angesehen auf ihrem jeweiligen Gebiet: Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum, der sich mit Haushalts- und Sozialpolitik befasst und von den Arbeitgebern unterstützt wird. Außerdem Ulrike Malmendier, eine deutsche Ökonomin, die an der Universität Berkeley in Kalifornien zu den jungen Stars gehört. Ihr Spezialgebiet ist Verhaltensökonomie, ein Forschungszweig, der versucht, ökonomische Entscheidungen auch mit Methoden der Psychologie zu entschlüsseln.

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Der entscheidende Punkt dabei ist aber, dass Malmendiers Stelle zuvor eineinhalb Jahre vakant gewesen war. Ihr Vorgänger, Lars Feld von der Universität Freiburg, war ausgeschieden, weil sich die große Koalition nicht auf einen Nachfolger einigen konnte. Der liberale Ökonom war zuletzt auch Vorsitzender des Gremiums. CDU und CSU wollten Feld für eine weitere Amtszeit behalten, die SPD legte ihr Veto ein. Im Sinne Adenauers könnte man sagen: Die Sozialdemokraten wollten eine Laus aus ihrem Pelz loswerden, denn Feld steht in der Tradition des Ordoliberalismus. Er hatte sich immer dafür eingesetzt, so bald wie möglich zur Schuldenbremse für die öffentlichen Haushalte zurückzukehren, ein konfliktreiches Thema für die Sozialdemokraten.

Ironie der Geschichte: Lars Feld ist jetzt "Persönlicher Beauftragter" von Bundesfinanzminister Christian Lindner "für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung". Wenn man so will, wurde ein Teil der ordoliberalen Tradition aus dem Sachverständigenrat ins Bundesfinanzministerium verpflanzt. Ein klassischer Fall von unbeabsichtigten Nebenwirkungen in der Ökonomie.

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