Omikron:Das Risiko des Untertreibens

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Einigkeit, das war einmal: Karl Lauterbach (rechts), Bundesminister für Gesundheit, und Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI). (Foto: Bernd von Jutrczenka/picture alliance/dpa)

Die neue Variante erzeugt eine wirklich neue Lage. Wer jetzt aus Sorge um den Weihnachts- oder auch nur den Koalitionsfrieden zögert, kann das womöglich nicht wieder gut machen.

Kommentar von Daniel Brössler

Den Menschen in Deutschland stecken bald zwei Jahre der Pandemie in den Knochen. Alle haben schwere Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit hinnehmen müssen. Die meisten konnten oft nur mit Mühe ihren Alltag organisieren, etliche hatten und haben mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Nicht wenige haben sich mit Covid-19 infiziert, viel zu viele sind daran gestorben. Zu keinem Zeitpunkt aber stand infrage, dass der Staat noch in der Lage ist, seine wesentlichen Aufgaben zu erfüllen. Erstmals in der Geschichte dieser Republik werden die Bürgerinnen und Bürger nun aber Weihnachten feiern und ins neue Jahr gehen, ohne die Gewissheit, dass das so bleibt. Wer ernst nimmt, was der neue Expertenrat der Bundesregierung über die Gefahr sagt, die von der Omikron-Variante ausgeht, muss auf das Schlimmste gefasst sein.

Obwohl es schon oft in dieser Pandemie ein bitteres erstes Mal gegeben hat, stand Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder am Dienstag daher vor einer wirklich neuen, in diesem Ernst noch nicht erlebten Situation. Wenn wegen des Risikos von Millionen gleichzeitig Infizierten neben Krankenhäusern auch Polizei, Feuerwehr, Müllabfuhr oder Stromversorger an den Rand ihrer Arbeitsfähigkeit und darüber hinaus gerieten, träte eine Lage ein, die zu verhindern oberste Verantwortung des Staates ist. Oft ist davon die Rede gewesen, dass Maßnahmen verhältnismäßig sein müssen, also nicht übertrieben sein dürfen. Richtig. Das gilt aber auch umgekehrt. Wer jetzt aus Sorge um den Weihnachts- oder auch nur den Koalitionsfrieden untertreibt, kann das womöglich nicht wieder gut machen.

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Was der Alarmruf des Robert-Koch-Instituts bedeutet

Auffällig war jedenfalls die Diskrepanz zwischen der von Scholz in großem Ernst vorgetragenen Analyse und der von ihm angekündigten Antwort. Bund und Länder setzten zunächst auf Appelle, also darauf, dass Menschen sich aus Einsicht impfen lassen und Abstand halten. Und darauf, dass nach Weihnachten Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte greifen, die von der jetzigen Rechtslage noch gedeckt sind. Diese Rechtslage ist das Erstlingswerk der Ampel und der erste Fehler, den die Ampel wird eingestehen müssen. Die Koalitionäre hatten alle Kritik am Auslaufen der pandemischen Lage von nationaler Tragweite abgebügelt mit der Behauptung, alles verhältnismäßig Notwendige sei auch mit dem veränderten Infektionsschutzgesetz möglich. Diese Verteidigungslinie dürfte in Kürze unter der Wucht der Omikron-Welle zusammenbrechen. Davon zeugt auch ein Alarmruf des Robert-Koch-Instituts nur Stunden vor Beginn der Bund-Länder-Runde.

Olaf Scholz hat in seiner ersten Regierungserklärung die persönliche Verantwortung dafür übernommen, dass alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Schlimmstenfalls ist er diesem Anspruch schon jetzt nicht gerecht geworden. Dann nämlich, wenn er sich nicht zuletzt mit Rücksicht auf die FDP auf Verzögerungen und Behinderungen eingelassen hat, die unter den Bedingungen der vierten Welle und der Delta-Variante noch vertretbar gewesen sind, nun aber von Omikron und der sich auftürmenden fünften Welle nicht mehr verziehen werden. Nach bald zwei Jahren der Pandemie ist es furchtbar, die Bevölkerung auf Wochen und Monate neuer Härten einzustimmen. Beliebt macht sich damit niemand. Wer aber jetzt nicht schnell genug handelt, riskiert die Funktionsfähigkeit in zentralen Bereichen des Staates. Und damit eigentlich alles.

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