Olympia 1972:Ein Attentat und die Frage, was eine Entschuldigung wert ist

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Der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (2. v. re., FDP) und Münchens Polizeipräsident Manfred Schreiber (2. v. vorn) versuchten 1972, mit den palästinensischen Geiselnehmern zu verhandeln - ohne Erfolg. (Foto: imago stock&people/imago/Sven Simon)

Noch immer streiten die Hinterbliebenen des Olympia-Attentats von 1972 mit Deutschland über einen finanziellen Ausgleich - und was eine Entschädigung leisten muss. Dabei gäbe es eine Lösung.

Kommentar von Karoline Meta Beisel

Was ist ein Menschenleben wert? Die Frage steht im Zentrum der Debatte um die Entschädigung der Hinterbliebenen des Münchner Olympia-Attentats. Der 50. Jahrestag Anfang September sollte den unwürdigen Umgang Deutschlands mit dem Attentat beenden, bei dem im Jahr 1972 elf Israelis und ein deutscher Polizist von einem palästinensischen Terrorkommando ermordet wurden. Statt dessen droht der Streit die unrühmliche Geschichte fortzuschreiben, denn die Hinterbliebenen halten das Angebot der Bundesrepublik für zu gering.

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Nach SZ-Informationen aus Israel soll die Bundesregierung mindestens zehn Millionen Euro angeboten haben, inklusive jener 4,6 Millionen Euro, die die Hinterbliebenen bereits 2002 erhielten. Das entspricht grob etwa einer Million Euro pro Opfer. Die Angehörigen dagegen drängen darauf, nach den "internationalen Standards" bei Terroranschlägen entschädigt zu werden, wie sie es nennen. Zur Orientierung führen ihre Anwälte die Zahlungen für die Opfer des Lockerbie-Anschlags heran, des Abschusses einer US-Verkehrsmaschine 1988 durch libysche Geheimdienstler: zehn Millionen Dollar pro Person, also etwa das Zehnfache dessen, was die Bundesregierung in Aussicht stellt.

Deutschland argumentiert juristisch, die Angehörigen moralisch

Was hier aufeinanderprallt, sind aber nicht unterschiedliche Vorstellungen vom Wert eines Menschenlebens - sondern unterschiedliche Vorstellungen davon, was so eine Entschädigung leisten soll. Das deutsche Recht fragt in solchen Fällen ausschließlich nach dem Schaden, der durch die Tat entstanden ist; das Verhalten des Staates spielt keine Rolle. Genau deshalb aber schäumen die Hinterbliebenen: Weil das, was ihnen nach der Tat widerfahren ist, also wie die Bundesrepublik mit ihnen umgegangen ist, in den Berechnungen der Regierung bisher kein Faktor ist. Die Bundesrepublik argumentiert juristisch, die Angehörigen moralisch. Klar, dass die Parteien so nicht zusammenfinden.

Dabei haben die Argumente beider Seiten Schwächen: Der Lockerbie-Vergleich hinkt, weil die Entschädigung damals der libysche Staat zahlte, dessen Beteiligung Gerichte nachgewiesen hatten - während Deutschland sich in dieser Angelegenheit zwar für vieles rechtfertigen muss, nicht jedoch für die Tat selbst.

Aber auch die Bundesregierung irrt, wenn sie fürchtet, bei einer üppigeren Zahlung könnte ein "Lex Olympia" entstehen. Sie beharrt darauf, dass die Summe darum keinesfalls viel höher ausfallen dürfe als die Entschädigungen für Opfer anderer terroristischer Anschläge, etwa in Hanau oder auf dem Berliner Breitscheidplatz. Aber in Deutschland wird eben auch nicht jeder Angehörige eines Terroropfers so schlecht behandelt wie die Hinterbliebenen des Attentats von 1972.

In der Einzigartigkeit dieses Versagens liegt jetzt aber auch ein Lösungsweg. Denn so kann die Bundesregierung die Entschädigungsfrage auf zwei verschiedenen Ebenen beantworten, ohne einen Präzedenzfall für die Zukunft zu schaffen.

Zum einen sollte sie die Familien wie angeboten und in Deutschland üblich als Angehörige von Opfern eines Terroranschlags entschädigen. Zum anderen sollte sie endlich eingestehen, dass sie für das Leid der Opferfamilien in erheblichem Maße selbst verantwortlich ist - und den Hinterbliebenen für dieses Verhalten ein zusätzliches Schmerzensgeld angedeihen lassen. Denn in Wahrheit geht es in dieser Sache eben nicht um den Wert eines Menschenlebens (der sich in Geld sowieso nicht bemessen lässt). Sondern um die Frage, was der Regierung die Entschuldigung bei den Hinterbliebenen wert ist.

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