Österreich:Kalter Stolz

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Demonstration in Wien: Die nächtliche Abschiebung dreier Schülerinnen und ihrer Familien nach Georgien und Armenien hat in Österreich zu Protesten geführt. (Foto: picture alliance/dpa/APA)

Mit den jüngsten Abschiebungen in Österreich zeigte die Regierung Härte, in einem geradezu beliebigen Fall. Pure Symbolpolitik. Doch zum Verhängnis realer Menschen.

Von Karl-Markus Gauss

Im Herbst 2015 berichteten die österreichischen Zeitungen von zwei interessanten demoskopischen Erhebungen. Damals waren Abertausende Flüchtlinge zwischen dem Burgenland und Vorarlberg unterwegs, die meisten gelangten nach Deutschland, viele aber strandeten hier und blieben im Land. In dieser Situation haben die Österreicher einander damit überrascht, dass zahllose Frauen und Männer beherzt darangingen, den Flüchtlingen in ihren provisorischen Unterkünften beizustehen, lebenspraktische Hilfe anzubieten, sich als Lehrkräfte für die rasch organisierten Deutschkurse zu melden. Sogar die Boulevardblätter, die anfänglich die Stimmung in der Bevölkerung falsch eingeschätzt hatten, zogen rasch nach, zollten denen Respekt, die sie jahrelang als Gutmenschen dem Gespött preisgegeben hatten und veröffentlichten Jubelberichte über die namenlosen Helferinnen und Helfer.

In jenen Tagen hat ein Institut für Meinungsforschung erhoben, dass 85 Prozent der Österreicher stolz auf die Hilfsbereitschaft seien, mit denen unsere Bevölkerung den Flüchtlingen begegnete. Ja, stolz. Fragt man die Österreicher sonst, was sie mit nationalem Stolz erfüllt, werden meist Dinge genannt, für die keiner was kann, etwa die "schöne Landschaft" oder "die Kultur", die vor hundert und mehr Jahren, jedenfalls ohne Zutun der jetzt Lebenden, geschaffen wurde. Laut einem anderen demoskopischen Institut hegten jedoch zur selben Zeit so viele Österreicher die Absicht, bei der nächsten Wahl die FPÖ zu wählen, dass diese zur stärksten Partei im Parlament geworden wäre. Die FPÖ hielt damals stramm den Kurs, dem sie seit je ihre Erfolge verdankt, nämlich alle "Ausländer", gleich ob es sich um Bürger der EU, bitter benötigte Arbeitskräfte von außerhalb der Union, anerkannte Flüchtlinge oder Asylwerber handelt, zu einer einzigen bedrohlichen Gruppe zu vereinen und die Feindseligkeit gegen diese anzuheizen.

Kurz entwendet den Kritikern seiner Flüchtlingspolitik den Anspruch, für das moralisch Gute einzustehen

Es handelte sich also um ein österreichisches Mirakel: Viele schrieben ihrem Land etwas gut, das andere leisteten und sie selber ablehnten. Wir hätten es gerne autoritär, aber möchten stolz auf die humanitären Traditionen des Landes bleiben dürfen!

Seither hat sich einiges geändert. Es ziehen keine Elendsscharen mit Kind und Kegel durchs Land. Es gibt keine überfüllten Massenquartiere mehr, in denen diese anfänglich untergebracht wurden. Aber es gibt natürlich noch die Flüchtlinge selbst, von denen es in den letzten Jahren den einen besser, den anderen schlechter und vielen gar nicht gelungen ist, aus der rundum abhängigen Existenz von Empfängern diverser sozialer Leistungen herauszutreten und einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Und es gibt nach wie vor Frauen und Männer, die aus vielfältigen weltanschaulichen Gründen das Ihre beitragen möchten, dass die Flüchtlinge eines Tages ohne ihre Hilfe in Österreich werden bestehen können. Aber es gibt niemanden mehr, der ihnen dafür Respekt zollte oder gar seinen patriotischen Stolz aus ihrem Tun bezöge.

Gleichwohl wäre es übertrieben zu behaupten, dass ein täglicher Kulturkampf zwischen denen tobte, die helfen wollen, und jenen, denen Kanzler Kurz aus der Seele sprach, als er sich so gegen die Aufnahme von einer Handvoll Kinder aus dem griechischen Moria wandte: "Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, jetzt Flüchtlinge aufzunehmen."

Warum verhindert der Kanzler, was die Mehrheit der Österreicher begrüßen würde?

Die Denkbewegung ist originell, Kurz entwendet den Kritikern seiner Flüchtlingspolitik den Anspruch, für das moralisch Gute einzustehen. Ein Gewissen zu haben bedeute eben mitunter, hart zu bleiben, ja, gnadenlos zu wirken, selbst wenn es ein Leichtes wäre, zu einer humanen Lösung zu finden. Seine unduldsame Härte wurde und wird Kurz selbst von Bürgermeistern, Mandatsträgern, Mitgliedern der ÖVP vorgeworfen, die es mit ihrem Gewissen durchaus vereinbaren hätten können, 15 oder 150 Kinder aus dem Dreck und der Kälte von Moria zu holen.

Warum verhindert der Kanzler, was die Mehrheit der Österreicher begrüßen würde? Weil er nicht diese Mehrheit im Auge hat und weil er weiß, dass ihn niemals fünfzig Prozent der Österreicher wählen werden. Heute richtet er seine Politik daher nach den früheren Wählern der FPÖ, die ihrer Partei wegen der schamlosen Selbstbereicherung führender Funktionäre den Rücken gekehrt und Kurz bei der letzten Wahl zu einem triumphalen Wahlsieg verholfen haben. Diese von der FPÖ übergelaufenen Wähler benötigt er, und ihnen soll der oft geradezu unverständliche Trotz, selbst in kleinsten Dingen größte Härte zu zeigen, imponieren.

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Politisches Handeln ist immer auch symbolisch, und symbolische Politik hat stets reale Auswirkungen. Wenn man drei Kinder, die in Österreich aufgewachsen sind, in die Herkunftsländer ihrer Eltern ausweist - was kürzlich zu großer Empörung quer durch die Bevölkerung geführt hat -, dann wird damit das vermeintlich überlastete Flüchtlingswesen natürlich keineswegs entlastet. Moralisch entlastet werden jedoch jene, die am liebsten das ganze Pack hinauswerfen würden, aber bloß deswegen nicht gleich als xenophobe Menschenfeinde gelten möchten. Daher hat der Innenminister Karl Nehammer auch mehrmals wiederholt, er müsse die Kinder von Spezialeinheiten der Polizei nur deswegen aus ihren Wohnungen holen, abführen und in Flugzeuge stecken lassen, um eines der höchsten Güter der Demokratie, den Rechtsstaat, zu schützen. Da die Asylgesuche der Mütter letztinstanzlich abgewiesen wurden, bleibe ihm leider keine Wahl.

Das Gewissen, keine Flüchtlinge aufzunehmen, ähnelt dem Stolz, kein Gewissen zu haben

Dabei stehen einer solchen Abschiebung von Kindern, die hier ihre Heimat haben und die Länder, in die sie verfrachtet werden, gar nicht kennen, neben anderem die sogenannten Kinderrechte entgegen, die in Österreich sogar im Verfassungsrang firmieren. Wie es überhaupt weder um den Rechtsstaat noch um das Asylwesen ging, sondern darum, an einem geradezu beliebigen Fall symbolisch Härte zu zeigen, die freilich reale Menschen zu spüren bekamen. Der grüne Koalitionspartner steht, von der ÖVP in einem fort gedemütigt und vorgeführt, gewohnt hilflos daneben und weiß nicht, was er machen soll, außer sich selbst zu bemitleiden.

Stolz, Gewissen, Rechtsstaat: Das Gewissen, keine Flüchtlinge aufzunehmen, ähnelt dem Stolz, kein Gewissen zu haben. Und der Rechtsstaat wird als Ausrede angerufen, um Menschenrecht zu verletzen.

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