Als der Nationalsozialistische Untergrund NSU am 4. November 2011 aufflog, da blickte die Republik in einen Abgrund an Fremdenhass und Versagen. Eine braune Mörderbande war 13 Jahre lang tötend und bombend durchs Land gezogen, und niemand hatte gemerkt, worum es sich bei den Erschießungen von Migranten handelte: rechten Terror. Es war ein Skandal, ein halbes Dutzend Verfassungsschutzchefs mussten gehen, viele Bürger verloren das Vertrauen in Polizei, Justiz und Verfassungsschutz - nicht nur in deren Können, sondern vor allem in deren Willen, Rechtsextremisten ernsthaft entgegenzutreten.
Mit aufwendigen Ermittlungen, mit einem akribischen, fünf Jahre langen Prozess sollte dieses Vertrauen wiedergewonnen werden. Weil die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich getötet hatten, konzentrierte sich alles auf ihre Gefährtin Beate Zschäpe, die Dritte im Bunde, die überlebt hatte. Als das Oberlandesgericht München Zschäpe am 11. Juli 2018 zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilte, hatten viele das Gefühl, dass nun wieder so etwas wie Rechtsfrieden hergestellt sei. Einzig die Frage blieb: Würde der Bundesgerichtshof dieses Urteil halten?
Der BGH hat seine restriktive Linie verlassen, wonach nur Mittäter ist, wer unmittelbar dabei war
Nun hat sich der BGH in einer selten klaren und eindeutigen Entscheidung hinter das OLG München gestellt und das Urteil bestätigt. Das Wichtigste daran: Zschäpe ist Mittäterin, nicht nur Helferin ihrer Gefährten - obwohl sie an keinem Tatort dabei war und meist nur zu Hause saß. Der BGH hat damit seine bisher restriktive Linie verlassen, wonach nur Mittäter ist, wer bei den Taten unmittelbar mitwirkt. Einer ihrer Verteidiger spricht nun von fehlendem Mut des BGH, sich dem öffentlichen Druck entgegenzustellen.
Alle Nachrichten im Überblick:SZ am Morgen & Abend Newsletter
Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.
Doch wer Beate Zschäpe fünf Jahre lang vor Gericht erlebt hat, für den war das Münchner Urteil gegen sie nur folgerichtig. Und der Beschluss des BGH löst Erleichterung aus. Denn da saß eine Frau, die gleichzeitig eisig, einschmeichelnd und manipulativ sein konnte. Und die glauben machen wollte, sie habe einmal, zweimal, dreimal, viermal, am Ende zehnmal entsetzt auf die Morde ihrer Gefährten reagiert, aber einfach weiter mit ihnen gelebt.
Immer neue unglaubwürdige Erklärungen sollten die These vom Heimchen am Herd untermauern. Es half nichts. Das Gericht glaubte Zschäpe nicht, dass sie nur kochte und die Wäsche wusch, während die beiden Männer Banken ausraubten, Bomben legten und Menschen aus Fremdenhass erschossen. Für die Richter war sie gleichberechtigte Mittäterin in der rechtsradikalen Zelle NSU, eine Terroristin unter Terroristen. So viel Kritik das Urteil sonst auf sich zog, in diesem Punkt war es mutig. Diesen Mut unterstützt der BGH nun.
Der NSU hatte den Staat erschüttert, und die Strafjustiz nahm das Schwert in die Hand, um die Demokratie gegen Verschwörer zu verteidigen, die in kleinen Zellen agieren und sich gegenseitig decken. Offenbar hat auch der BGH diese Gefahr erkannt. Er hat sich vom juristischen Purismus abgewandt und die Möglichkeiten der Gerichte erweitert. Eine Bewegung, die sinnvoll ist in einer Zeit, in der Demokratiefeinde den Staat immer dreister provozieren.
Der BGH hat damit auch ein Zeichen gegeben - an die Justiz insgesamt. Es ist ein Zeichen der Wehrhaftigkeit. Kein Staatsanwalt, keine Richterin kann jetzt noch damit argumentieren, man würde ja gerne, aber man könne halt nicht - wegen der engen Leitplanken des Bundesgerichtshofs. Der BGH hat gezeigt: Er fällt Staatsanwältinnen und Richtern nicht in den Arm, wenn sie beim Kampf gegen Terroristen ausreizen, was das Recht hergibt. Es ist aber auch ein Zeichen an die rechte Szene: Denn wenn nicht mal Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt wird, wer soll sich dann noch fürchten?
Auch das Verfahren um den Mord an Walter Lübcke hätte anders ausgehen können
Hätte es diesen Beschluss zum NSU-Verfahren bereits im Januar gegeben, wäre womöglich auch der Prozess wegen des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke anders ausgegangen. Der rechtsradikale Täter wurde zwar zu lebenslanger Haft verurteilt, sein Neonazi-Freund, der Spiritus Rector des Täters, aber saß grinsend und schweigend im Gerichtssaal - und kam frei. Die enge Verbundenheit zu seinem rechtsradikalen Freund zählte nicht. Da gab es den Beschluss des BGH noch nicht. Zukünftige Verschwörer können sich nicht mehr sicher sein, vor Gericht davonzukommen, wenn sie nur eisern schweigen.