Aktuelles Lexikon:Speisekarte

Bei Xi Jinping eine Metapher im Gespräch über die Möglichkeit von Friedensverhandlungen für die Ukraine.

Von Joachim Käppner

Staaten und Regierungen, die im Verdacht stehen, sich Territorien ihrer Nachbarn - oder diese Nachbarn zur Gänze - einverleiben zu wollen, wurden und werden gern als hungrige Wölfe oder gefräßige Bären dargestellt. Kein Geringerer als Winston Churchill benutzte ebenfalls ein kulinarisches Bild, als er 1938 das Münchner Abkommen geißelte, mit dem die Westmächte die Tschechoslowakei zur Abtretung des Sudentenlandes gezwungen und damit faktisch den Nazis ausgeliefert hatten. Als sich Premierminister Neville Chamberlain dafür als Friedenspolitiker feiern ließ, mahnte Churchill: Es sei nichts erreicht worden, außer dass "der deutsche Diktator, anstatt die Speisen vom Tisch zu rauben, sich damit zufriedengibt, sie sich nun Gang für Gang servieren zu lassen". Chinas Präsident Xi soll im Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz hinsichtlich einer Lösung des Ukrainekriegs bemerkt haben: Alle sollten mit am Tisch sitzen, aber keiner auf der Speisekarte stehen. Eine solche führt bekanntlich Speisen und Getränke des Hauses auf. Was aber, wenn ein Gast einen seiner Tischgenossen selbst als Hauptmahlzeit vorgesehen hat? Diese Frage ließ Xi, dem eine gewisse Nähe zu einem prominenten und außerordentlich hungrigen Wolf nachgesagt wird, lieber offen.

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