Großbritannien:Fernab der Realität

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Liz Truss verkündet ein Entlastungspaket und verschiebt die Rechnung dafür in die Zukunft. Es zeigt sich immer deutlicher, dass sie nicht die Premierministerin ist, die das Land jetzt braucht.

Kommentar von Michael Neudecker, London

Die britische Politik ist kein Zweiparteiensystem, aber sie bewegt sich längst nur noch zwischen zwei weit auseinandergetriebenen Polen. In einer von Pandemie und Putin geplagten Welt bräuchte es gerade in diesem Land, das von drei Jahren Boris Johnson erschöpft ist, eine moderate Regierungschefin, die versucht, das ganze Vereinigte Königreich zu lenken. Eine Regierungschefin, die sich nicht an parteipolitischen Ideologien orientiert, die Polarisierung nicht als Werkzeug zur eigenen Machtsicherung nutzt und weniger an die nächste Wahl denkt als vielmehr an den Ernst der Lage. Liz Truss hat in den ersten Tagen ihrer Amtszeit keinerlei Anlass geboten zu glauben, dass sie diese Regierungschefin sein kann.

Am Mittwoch hat sie das mächtige 1922-Komitee der Tory-Hinterbänkler zusammengerufen, danach berichteten Teilnehmer, sie habe dabei gesagt: "Ab jetzt beginnt der Wahlkampf." Das passt zu ihrem Auftritt am Donnerstag, als sie ein milliardenschweres Rettungspaket verkündete, das zwar tatsächlich eine Soforthilfe für die Briten schafft, die Frage aber, woher das Geld kommt, vertagt: mit freundlichen Grüßen an die nachfolgenden Regierungen.

Truss weigert sich, die Gewinne britischer Energieunternehmen zu besteuern

Die Labour-Partei, sagt Truss, würde einfach immer die Steuern erhöhen, ihre Tories aber seien die Partei niedriger Steuern. Deshalb will sie - anders an von der Opposition gefordert - die Energieunternehmen, die gerade so viel Geld verdienen wie wohl noch nie, nicht mit weiteren Abgaben behelligen. Die meisten Wirtschaftsexperten halten das für falsch, zumal Truss' Weg, Steuern zu senken und die Staatsverschuldung zu erhöhen, die ohnehin zweistellige Inflation zusätzlich nach oben treiben könnte.

Liz Truss verweist gerne auf ihre Identität als Konservative und auf das Parteiprogramm, in dem die Tories versprachen, die Steuern niedrig zu halten. Wenn sie nicht bald in der Realität ankommt, wird ihr Wahlkampf kürzer, als ihr lieb sein dürfte.

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