Indischer Premier Modi in Berlin:Das Gift der Ungeduld

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Verbündete aus vielen Gründen: Der russische Präsident Putin und der indische Premier Modi im Dezember 2021. (Foto: Manish Swarup/AP)

Indien will partout nicht mit Wladimir Putin brechen. Auch wenn das viele in Europa sehr irritiert, das darf nicht der Maßstab für die deutsch-indischen Beziehungen sein.

Kommentar von Arne Perras

Wenn sich der Freund deines Freundes auf einmal entscheidet, mächtig Ärger zu machen, mehr noch, wenn er in Europa einen Krieg vom Zaun bricht und ein benachbartes Land überfällt, dann gibt es größeren Gesprächsbedarf.

Deutschland pflegt freundschaftliche Beziehungen zu Indien. Aber das bald bevölkerungsreichste Land der Erde ist auch eng mit Russland verbunden. Und trotz des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine will es das offenbar auch bleiben. So zumindest lassen sich die Signale der indischen Politik in den vergangenen Wochen deuten. Für den Besuch des indischen Premiers Narendra Modi in Berlin bedeutete dies: sehr komplizierte Gespräche und womöglich auch die eine oder andere Verstimmung.

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Indien will sich an den Sanktionen nicht beteiligen, es pocht auf Neutralität. Und es ist unwahrscheinlich, dass sich daran etwas durch diesen Besuch ändern wird. Nachfragen durften Journalisten dazu nicht, vermutlich ein Zugeständnis an Modi, der den direkten Austausch mit den Medien fast immer scheut.

Am schlimmsten wäre es, wenn sich Indien und Europa entfremden

Zwar verbinden Deutschland und Indien viele Interessen, sie reichen vom Handel über den Klimaschutz bis hin zu Initiativen demokratisch verfasster Staaten, um ein autoritär regiertes und teils aggressiv expandierendes China in seine Schranken zu weisen. Doch jetzt hat sich Putins Krieg wie ein gewaltiger Klotz zwischen Berlin und Delhi geschoben.

Aus westlicher Sicht mag dieser einen so großen Schatten werfen, dass alle anderen Gemeinsamkeiten nicht mehr so leicht auszumachen sind. Und doch gibt es gute Gründe, diesen Klotz jetzt nicht zum Maß aller Dinge zu machen. Denn noch schlimmer als ein Indien, das sich nicht von Putin distanzieren will, wäre ein Indien, das sich nach langer und oftmals zäher Annäherung von Europa entfremdet. Dieses Land ist einfach zu groß und zu wichtig, um einen Bruch zu riskieren. Zumal es auch nicht so aussieht, als wäre Delhi tatsächlich in der Lage, Putin substanziell zu stärken.

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Es ist schon richtig: Sanktionen brauchen breite Beteiligung, um Druck zu entfalten. Aber so, wie sich Deutschland schwertut, russisches Gas zu ersetzen, so hat sich auch Indien in ein Geflecht von Abhängigkeiten mit Russland begeben, die massive Zwänge schaffen. Delhi hat sich über Jahrzehnte mit russischen Waffen eingedeckt, und dieses Gerät will gewartet werden, braucht Ersatzteile. Ein Bruch mit Moskau setzte das aufs Spiel. In einem Land, das sich von China zunehmend eingekreist sieht und noch dazu die Erblast eines indisch-pakistanischen Dauerkonfliktes trägt, ist es keineswegs überraschend, dass Indien mit Putin nicht brechen will.

Delhi pocht auf Eigenständigkeit. Die gilt es zu respektieren

Mittelfristig lassen sich indische Ängste dämpfen, wenn das Land die Möglichkeit hat, seine militärische Ausrüstung stärker zu diversifizieren. Das geschieht bereits, und der Trend könnte sich durch den Ukraine-Krieg beschleunigen, wenn die Hürden immer höher werden, mit Putin weiter Geschäfte zu machen.

Europa muss Indien aber Zeit und Raum lassen, seine Geopolitik neu zu justieren, dafür kann es Anreize bieten, zum Beispiel im Handel und mit Kooperationen für grüne Energie. Aber es ist auch wichtig, hier den richtigen Ton zu treffen. Denn in Südasien gibt es immer noch viele postkoloniale Empfindlichkeiten, Delhi pocht auf Eigenständigkeit. Und die Europäer tun gut daran, dies zu respektieren.

In Berlin starrt man auf Moskau, aber in Delhi ist der Blick auf Peking fixiert: Dort sitzt die Bedrohung der Zukunft - aus indischer Sicht. Diese Frontstellung aber bindet Indien schon aus existenziellen Erwägungen heraus an den Westen. Und auch Europa braucht Indien als Partner, will es die Bedrohungen durch den Klimawandel eindämmen. So schwierig die Gespräche über Putin sein mögen. Ungeduld wäre jetzt das größte Gift.

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