Arbeitslosigkeit:Mehr Geld allein löst die Probleme der Hartz-Bezieher nicht

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Passanten vor einem Eingang der Agentur für Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern (Foto: dpa)

Die Zahl der Jobsuchenden hat sich drastisch verringert. Jetzt aber muss sich um diejenigen gekümmert werden, die bisher nicht profitiert haben - vor allem mit mehr Beratung.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Wenn die Bundesagentur für Arbeit jeden Monat ihre neuen Daten präsentiert, erinnert das an den filmischen Gruß des Murmeltiers. Hurra, schon wieder so wenig Arbeitslose wie noch nie seit der Wiedervereinigung! Und in der Tat ist viel erreicht. Seit der Massenarbeitslosigkeit der Nullerjahre entstanden Millionen neue Arbeitsplätze, und beileibe nicht nur zum Niedriglohn. Selbst dieses Jahr, da Donald Trumps Handels-Nationalismus die Weltwirtschaft beschädigt, bleibt der Arbeitsmarkt stabil. Diese goldene Bilanz sollte antreiben, sich mehr um jene Menschen zu bemühen, die am Arbeitsmarkt trotzdem außen vor bleiben. Zumal die Bundesrepublik beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit international lange schlecht aussah.

Dabei besteht aber ein politisches Anreizproblem. Die Zahl der Arbeitslosen hat sich seit den Nullerjahren schon mehr als halbiert. Den Politikern winken kaum noch schnelle Erfolge, die sich im Fernsehen rausblasen lassen. Wer trotz Booms keinen Job hat, den hindern häufig besondere Hürden. Geringe Qualifikation. Fehlende Betreuung der eigenen Kinder wie oft bei Alleinerziehenden. Sprachdefizite, Suchtprobleme, psychische Handicaps. Und häufig mehrere Faktoren auf einmal. Die bayerische Sozialministerin Kerstin Schreyer sagt: "Je weniger Arbeitslose noch da sind, desto mehr Personaleinsatz ist nötig, um die Verbliebenen in den Arbeitsmarkt zu integrieren."

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Es sollte sich eine öffentliche Debatte entzünden, mit welchen Ideen diese Integration am besten zu schaffen ist. Doch die öffentliche Debatte wird komplett von Hartz IV vereinnahmt. Das erscheint zugleich schade - und verständlich. Die Einführung von Hartz IV Mitte der Nullerjahre ist ein Fest für Ideologen. Zahlreiche Marktliberale halten mehr Druck für den wesentlichen Grund, warum es eben nur noch halb so viele Arbeitslose gibt wie vor Hartz IV. Linke Kritiker verdammen die gesamten Reformen der damaligen SPD-Regierung Schröder als unsozial.

So verharren die Gegner in ihren Trutzburgen. Die Union neigt dem marktliberalen Lager zu, die SPD inzwischen dem linken. Der Hartz-Streit absorbiert nahezu die gesamte Aufmerksamkeit. Deshalb fehlt es an politischer Energie für die ohnehin schwierige Aufgabe, die aktuell immer noch zwei Millionen Arbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen.

Es gibt aber einen Weg aus dem ideologischen Patt. Denn das Menschenbild der Marktliberalen wirkt genauso eindimensional wie das der Hartz-Gegner. Weder sind die meisten Arbeitslosen faul. Noch war es richtig, vor Hartz finanzielle Anreize zur Rückkehr in den Job zu ignorieren und Arbeitslose nur zu verwalten. Forscher zeigen sich relativ einig, dass die Gesamtheit der Schröder-Reformen für den Boom am Arbeitsmarkt mitverantwortlich ist. Der Druck auf Arbeitslose durch Hartz IV trägt dazu weniger bei als beispielsweise die Neuorganisation der Jobvermittlung.

Viele sind nach langer Arbeitslosigkeit verunsichert, gar entmutigt

Deshalb gefährdet es den Boom nicht, besondere Härten etwa der Sanktionen für junge Menschen abzuschaffen und das System insgesamt humaner zu gestalten. Gleichzeitig aber löst es die Probleme der Hartz-Bezieher nicht, ihnen einfach mehr Geld zu geben, wie es bei Linken zuweilen anklingt. Arbeitslose verdienen es, dass sie mehr bei der Rückkehr in den Job unterstützt werden als bisher. Denn Arbeit schafft in einer arbeitenden Gesellschaft mehr Zufriedenheit und finanzielle Chancen als von Hartz IV abzuhängen.

Ein krasses Beispiel für die bisherigen Defizite sind Alleinerziehende. Jede dritte, fast immer sind es Frauen, ist auf staatliche Finanzhilfe angewiesen. Das ist ein erschreckender Wert. Die Alleinerziehenden leiden unter dem konservativen Familienbild, das staatliche Kinderbetreuung lang verdammte, weil die Mutter ja zu Hause bleiben sollte. Deshalb sind die Betreuungsangebote in der Bundesrepublik immer noch schlechter als in moderneren Nachbarländern wie Frankreich oder Belgien. Diesen Rückstand gilt es aufzuholen, damit mehr Alleinerziehende aus der Hartz-IV-Falle kommen.

Langzeitarbeitslose, zu denen viele Alleinerziehende genauso gehören wie gering qualifizierte oder suchtgefährdete Arbeitnehmer, brauchen aber oft noch etwas anderes: mehr Beratung. Sozialbetreuer können helfen, familiäre Probleme oder andere Schwierigkeiten zu lösen. Viele sind nach langer Arbeitslosigkeit verunsichert, gar entmutigt. Folgt man bei ihnen nur strikt den Buchstaben des Gesetzes, bleiben sie außerhalb der Berufswelt. Das zu ändern, verdient jeden Aufwand. Davon profitiert die Gesellschaft genauso wie die Menschen selbst.

© SZ vom 25.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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