Großbritannien:Goldene Zeiten

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Wenig Grund zu lachen haben Labour-Chef Keir Starmer (li.) und seine Stellvertreterin Angela Rayner. (Foto: JUSTIN TALLIS/AFP)

Die Tories haben aussichtsreiche Kandidaten für die Nachfolge Johnsons. Die Labour-Partei dagegen tut sich schwer.

Kommentar von Michael Neudecker

Seine Rücktrittsrede beendete Boris Johnson mit dem Satz, im Moment möge alles düster aussehen, "aber unsere gemeinsame Zukunft ist golden!" Es war das seltsame Ende einer seltsamen Rede, die etwas zu begeistert wirkte für jemanden, der gerade von vielen Menschen gesagt bekommen hat, dass er endlich verschwinden soll. Aber: Boris Johnson hat recht. Nimmt man das "gemeinsam" weg, also ihn, dann sind die Aussichten für die britische Regierungspartei tatsächlich gut. Und schlecht für die Opposition, ganz besonders für Keir Starmer.

Bis heute wissen die Briten nicht genau, wofür der Labour-Chef steht

Als Keir Starmer 2020 Chef der Labour-Partei wurde, war die nach Mitgliederzahlen größte Partei des Landes in einem miserablen Zustand. Der ultralinke Jeremy Corbyn war im Vereinigten Königreich so unbeliebt, dass der in den Umfragen auch nicht übermäßig populäre Johnson eine 80-Sitze-Mehrheit gewann. Starmer investierte viel Energie und Zeit in den Umbau der innerparteilichen Strukturen, aber dabei verlor er die Wähler ein wenig aus dem Blick. Bis heute ist den Briten nicht klar, wofür der Mann nun eigentlich steht, der so gerne ihr Premierminister wäre. Wenn Meinungsforscher Fragebögen ausfüllen lassen, in denen die Leute begründen sollen, warum sie Labour wählen würden, kommen fast nur Gründe heraus, warum sie die Tories hassen. Boris Johnsons Tories, wohlgemerkt.

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Starmer wird oft vorgeworfen, er sei langweilig. Er bemüht sich, wie ein Gegenmodell zu Johnson zu wirken, ruhig, sachlich, souverän, manchmal bemüht er sich zu sehr. Dass das aber eine nicht ganz verkehrte Strategie ist, sieht man in den Umfragen zu Johnsons Nachfolge: Unter den Tories führt derzeit Verteidigungsminister Ben Wallace. Wallace ist bislang nicht als Freund großer Bühnen aufgefallen, vielmehr als jemand, der mit klarem Kopf tut, was zu tun ist. Er wirkt: ruhig, sachlich, souverän.

Gleichzeitig gilt Wallace als Vertreter der klassisch konservativen Linie, niedrige Steuern, freie Marktwirtschaft, überhaupt ein Staat, der die Bürger und die Wirtschaft möglichst in Ruhe lässt. Nicht zuletzt war Wallace, noch eine schlechte Nachricht für Starmer, einer der Tories, die für "Remain" warben, also gegen den Brexit. Zu sagen, Wallace wäre Favorit, ist verfrüht, es gibt auch viele andere aussichtsreiche Kandidaten. Darunter sind auch kompromisslose Brexiteers wie Steve Baker und dem populistischen Aktionismus nicht abgeneigte Politiker wie Liz Truss - aber eben auch einige, deren Profil jenem von Wallace ähnelt.

Die Kunst bei der nächsten Wahl wird sein: Remainer und Leaver gleichermaßen anzusprechen

Wann immer es zu einer Parlamentswahl kommt, ob nun nächste Woche oder - was weitaus wahrscheinlicher ist - 2024, die Kunst wird dann sein, Remain- und Leave-Wähler gleichermaßen anzusprechen. Und glaubwürdig darzulegen, warum und wie man beide Seiten dieses polarisierten Landes vereinen kann. Starmer versucht das, indem er sich kürzlich gegen die Streiks der Eisenbahner aussprach und gegen eine wie auch immer geartete Rückkehr in die EU. Beides ist untypisch für einen Labour-Chef, aber Starmer glaubt, dass er eine Wahl nicht ohne die konservativen Wähler der Mitte gewinnen kann. Selbst wenn er damit riskiert, Stammwähler zu vergraulen.

Wenn die Tories nun schlau genug sind, jemanden zu wählen, der sich stark unterscheidet von Johnson und überdies weite Teile von Johnsons Kabinett austauscht, dann droht der Opposition etwas abhandenzukommen, ohne das es eine Opposition grundsätzlich schwer hat: ein Feindbild.

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