Montenegro:Dritan Abazović

Lesezeit: 2 min

Premierminister Dritan Abazović wünscht sich einen Aufbruch für Montenegro. (Foto: Darko Vojinovic/AP)

Der dynamische 36-jährige Regierungschef von Montenegro führt eine Minderheitsregierung - diese aber könnte nun zerbrechen.

Von Tobias Zick, München

Während Dritan Abazović am Donnerstag Wien besuchte, um für die "starke Unterstützung Österreichs" für einen EU-Beitritt seines Landes zu danken, braute sich daheim neues Unheil zusammen. Der 36-jährige Regierungschef von Montenegro führt eine Minderheitsregierung; seine grün-proeuropäische Partei mit dem englischen Namen United Reform Action (URA) bekleidet gerade einmal vier der insgesamt 81 Parlamentssitze, und in seiner Koalition finden sich Partner, mit denen er inhaltlich nicht allzu viele Berührungspunkte hat. Dieses fragile Bündnis droht nun, nach gerade einmal gut zwei Monaten, zu zerbrechen - an einer Frage, die den 620 000-Einwohner-Staat auf dem westlichen Balkan seit Langem aufwühlt: dem Verhältnis zum mächtigen Nachbarn Serbien.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.

Anlass ist ein "Grundlagenabkommen" mit der serbisch-orthodoxen Kirche im Land, das die montenegrinische Regierung laut Kabinettsbeschluss vom Freitagabend unterzeichnen will. Für den Fall hatte einer der Koalitionspartner, die Sozialdemokratische Partei (SDP), mit dem Ausstieg aus dem Bündnis gedroht. Und die mächtige Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) verweist darauf, die Konsequenzen eines solchen Schritts seien ja "bekannt". Die DPS ist zwar nicht Mitglied der Koalition, duldet und stützt aber die Minderheitsregierung. Der Regierungschef ist also letztlich abhängig von Milo Đukanović, dem Langzeitherrscher (und langjährigen DPS-Chef), der das kleine bergige Land fast drei Jahrzehnte lang regierte, mal als Premier, mal als Präsident, begleitet von Korruptionsvorwürfen, bis seine Partei 2020 abgewählt wurde. Präsident ist er noch heute.

Der Politologe Dritan Abazović dagegen verkörpert Aufbruch: ein Angehöriger der albanischen Minderheit im Land, selbsterklärter "Kosmopolit", Proeuropäer und Korruptionsbekämpfer. "Montenegros Obama" hat ihn ein Publizist einmal genannt; ein ausländischer Diplomat sagte der Zeitung Le Monde, Abazović wäre in der Lage, "Staubsauger in der Sahara zu verkaufen". Als er noch Wahlkämpfer war, verkündete er hin und wieder, er würde Đukanović am liebsten im Gefängnis sehen. Heute, da er unter dessen Duldung regiert, ist seine Rhetorik deutlich milder geworden. In der Klemme zwischen der alten Machtelite und der serbisch-orthodoxen Kirche bleibt von der Aufbruchstimmung immer weniger übrig.

Mit der Macht des Klerus hat auch Đjukanovic seine schmerzlichen Erfahrungen. Ende 2019 brachte seine DPS, die zu dem Zeitpunkt regierte, ein Gesetz auf den Weg, das die serbisch-orthodoxe Kirche zwingen sollte, wesentliche Teile ihrer Besitztümer in Montenegro - die sie seit 1920 hält, als das kleine Königreich aufgelöst wurde - an den Staat abzutreten. Daraufhin brachen Proteste los, angefacht von der Führung der Kirche selbst. Bei der folgenden Wahl verlor die DPS ihre langjährige Mehrheit. Die Expertenregierung, die sich danach bildete, stürzte im Februar 2022 über ein Misstrauensvotum.

Auch um russischen und serbischen Begehrlichkeiten etwas entgegenzusetzen, erklärte sich die DPS von Präsident Đukanović im April zähneknirschend bereit, eine Minderheitsregierung unter Abazović' Führung zu tolerieren. Das Abkommen, an dem dessen Regierung jetzt zu zerbrechen droht, sieht vor, dass die serbisch-orthodoxe Kirche - immerhin die größte Glaubensgemeinschaft in Montenegro - weitreichende offizielle Besitzansprüche auf die Kirchen und Klöster des Landes erhält. Die anderen Parteien hätten genug Zeit gehabt, ihre Einwände zu dem Entwurf zu Protokoll zu geben, sagte Abazović; jetzt sei es "Zeit, diese Akte zu schließen".

Sollte er nun über eben jene Akte stürzen, dann wäre ihm, der als kompromissloser Reformer angetreten ist, ein Übermaß an Pragmatismus zum Verhängnis geworden. Nach nicht einmal einem Vierteljahr im Amt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: