Gregor Gysi ist Jurist, vor allem aber ist er ein großer politischer Rhetoriker. Weshalb anzunehmen ist, dass er eine ihm treffend erscheinende Formulierung kaum sausen lassen würde, nur weil sie juristisch irgendwie schief ist. "Sie und ihre Mitarbeiter begehen eine Art Diebstahl", hat er im Spiegel über Sarah Wagenknechts Parteigründung gesagt. "Sie nehmen ihre Bundestagsmandate mit. Das steht ihnen nicht zu." Aus der moralischen Warte des Herzenslinken ist die Analyse verständlich, richtig ist sie trotzdem nicht. Weil man sich hier nicht im Straf-, sondern im Staatsrecht befindet. Und danach gehören die Bundestagsmandate eben nicht der Partei, sondern den Abgeordneten. Das gilt selbst für unbekannte Hinterbänkler, die ihre Wahl ins Parlament allein der strahlenden Sonne ihrer Partei zu verdanken haben. Als Abgeordnete sind sie Mitglieder des Bundestags, üben ein freies Mandat aus und sind keinerlei Weisungen unterworfen, wenigstens in der staatsrechtlichen Theorie. Zwar akzeptiert auch das Bundesverfassungsgericht, dass es in der parlamentarischen Realität so etwas wie Fraktionsdisziplin gibt. Aber die Eigentumsverhältnisse - um in Gysis Bild zu bleiben - sind geklärt: Wer die Partei verlässt, darf sein Mandat mitnehmen.
Aktuelles Lexikon:Bundestagsmandat
Der Parlamentssitz von Abgeordneten gehört ebendiesen, kann also im Fall eines Parteiwechsels auch nicht "gestohlen" werden.
Von Wolfgang Janisch
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