Bundespräsident:Ein Wahlkämpfer, der keiner sein soll

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gibt ein Statement in der Erich-Kästner-Grundschule, nach seiner Stimmabgabe für die Bundestagswahl am 26. September 2021. (Foto: Kai Pfaffenbach/dpa)

Frank-Walter Steinmeier gerät in eine verzwickte Rolle. Er will Staatsoberhaupt bleiben, darf aber nicht parteiisch wirken.

Von Stefan Braun

Als Frank-Walter Steinmeier seine Entscheidung traf, konnte er nicht ahnen, was kommen würde. Der Bundespräsident tat es nicht aus einer Laune heraus. Er wollte sich selbst beweisen, dass er nicht einfach klein beigibt. Bislang war Steinmeier, 65, nicht eben berühmt gewesen für seine Risikofreude. Jetzt aber wollte er lieber ins Offene gehen, als zum Spielball der Parteien zu werden. Und so kündigte er am 28. Mai an, er werde in der nächsten Bundesversammlung im Februar 2022 noch einmal für das Präsidentenamt kandidieren.

Dass Bundespräsidenten eine zweite Amtszeit anstreben, ist nichts Neues. Aber dass einer ohne Kenntnis der im Februar herrschenden Mehrheitsverhältnisse ins Risiko geht, war im Mai einer Sensation gleichgekommen. Zumal die SPD damals nicht gerade kraftstrotzend dastand und deshalb als natürliche Unterstützerin der neuerlichen Kandidatur ausfiel. 15, 16, 17 Prozent - das waren die Zahlen der Sozialdemokraten. So gesehen, wirkte Steinmeiers Unterfangen wie ein Versuch mit wenig Aussicht.

Nur die FDP hat schon für ihn geworben

Sicher, die FDP Christian Lindners hatte sich früh für ihn ausgesprochen. Und auch die Grünen hatten Steinmeier bei ihrem Fest zum 40-jährigen Bestehen Ende 2019 fast schon als einen der Ihren gefeiert. Trotzdem gab es zum Zeitpunkt seiner Kandidatur wenig Anhaltspunkte dafür, dass er mit seiner Idee Erfolg haben könnte.

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Vier Monate später sieht alles anders und für Steinmeier auf den ersten Blick erstaunlich gut aus. Nach einem Wahlkampf, bei dem die SPD durch die Schwächen ihrer Gegner plötzlich nach oben gespült wurde, kann der Bundespräsident wieder hoffen. Mehr noch: Nach einer von vielen nicht mehr für möglich gehaltenen Auferstehung könnte es sogar passieren, dass in Olaf Scholz und Frank-Walter Steinmeier plötzlich wieder zwei Männer in Deutschland ganz vorne stehen, die zu den engsten Mitstreitern Gerhard Schröders gehörten hatten. Welche Volte, wenn man bedenkt, was seitdem alles passiert ist.

Zwei Männer? Zwei Schröderianer?

Daraus aber erwachsen Steinmeier von jetzt an zwei neue Probleme. Zum einen muss er in einer komplizierten Gemengelage zwischen den Parteien ein unabhängiger Bundespräsident sein, der nicht eine Sekunde den Eindruck erweckt, er sage dies oder tue das, um seine Chancen in der Bundesversammlung zu verbessern. Zum anderen wird Steinmeier bald zu spüren bekommen, dass ein möglicher SPD-Kanzler Scholz die Chancen des Bundespräsidenten auf eine zweite Amtszeit nicht automatisch erhöhen wird.

Zweimal SPD? Zwei Männer? Zwei Schröderianer? Womöglich wird es dafür nicht mal bei den wiedererstarkten Sozialdemokraten eine Mehrheit geben. Dazu kommen Grüne, Liberale und Christdemokraten, die ihre eigenen Chancen suchen werden.

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Nur zurückziehen darf er jetzt nicht mehr

Und so landet der Sozialdemokrat, dessen Parteimitgliedschaft als Bundespräsident ruht, vermutlich ziemlich genau dort, wo ein Bundespräsident hierzulande noch nie wirklich war: in einem Wahlkampf. Nachdem Steinmeier Ende Mai seine Kandidatur verkündet hatte, widersprach er allen, die ihm einen Wahlkampf im Rennen ums Schloss Bellevue voraussagten. Und doch wird der SPD-Kanzlerkandidat 2009 zum Finale seiner politischen Karriere noch einmal genau dort landen. Nicht mit Plakaten, nicht mit einer offenen Kampagne. Aber mit Reden, mit Auftritten, Interviews und Gesten. Nur so, im Werben für sich selbst, wird er in der von nun an noch bunter gemischten Bundesversammlung eine Chance haben.

Das freilich ist kein Problem und erst recht keine Katastrophe. Es beweist vielmehr, dass da einer ist, der lieber in ein offenes Rennen geht, als aus Angst vor der Niederlage vorzeitig aufzugeben. Für die Demokratie ist das eine Wonne. Sie zeigt ihre Stärke nicht im Jubel der Sieger, sondern im Anstand der Verlierer. So gesehen, darf der Bundespräsident nur eines nicht mehr machen: doch noch auf eine Kandidatur verzichten.

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